PRESS-SCHLAG: Schach dem König!
■ Marokkos Despot Hassan II. will Schach- und Fußball-WM ausrichten/ Kasparow spielt nicht mit
Spätestens als Roger Milla im Achtelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien nach seinen wunderhübschen Toren gegen Kolumbiens Torwart-Libero Higuita lasziv an der Eckfahne herumscharwenzelte, war auch dem letzten Sportsfreund dieser Welt klar, daß ein ganzer Kontinent endgültig die Bühne des Weltsports betreten hatte.
Goldmedaillen und Weltmeistertitel im Langstreckenlauf schön und gut, aber wahren Adel verleiht eben nur der Fußball. Erst Kameruns eleganter Sturmlauf, der um ein Haar ins WM-Halbfinale geführt hätte, wären nicht die englischen Spielverderber und Elfmeterschinder dahergekommen, verschaffte Afrika den gebührenden Platz auf der sportlichen Landkarte. Vehement wurde ein größeres Kontingent afrikanischer Mannschaften bei Fußball-Weltmeisterschaften gefordert, und allenthalben erhob sich die Forderung, endlich ein bedeutendes Großereignis des Sports nach Afrika zu vergeben.
Marokko war das erste Land, das diesen Ruf vernahm und hurtig daran ging, entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Doch es zeigte sich einmal mehr, daß sich vollmundige Sprüche von Funktionären bei näherem Hinsehen meist als reine Luftblasen entpuppen. Als Marokko seine Bewerbung um die Fußball-WM 1998 kundtat, kam sofort der Konter des FIFA-Präsidenten Joao Havelange. Das Land sei für diese Aufgabe nicht ausreichend vorbereitet, lautete das harsche Urteil des Fußballgewaltigen, es mangele an einer geeigneten Infrastruktur.
Kein Problem für Hassan II., den ebenso größenwahnsinnigen wie skrupellosen marokkanischen Despoten. Die Herausforderung heißt eines seiner Bücher, und er zögerte nicht, die Herausforderung des brasilianischen FIFA-Präsidenten anzunehmen. Um die Mitbewerber Schweiz und Frankreich aus dem Feld zu schlagen, will das marokkanische Regime mächtige Investitionen vornehmen, die zusammen mit der offiziellen Bewerbung in einer detaillierten hundertseitigen Broschüre der FIFA präsentiert wurden.
Vorgesehen ist die Erhöhung der Zahl von Zuschauerplätzen in den Stadien von 205.000 auf 445.000, die Menge der Hotelbetten soll von knapp 90.000 auf 160.000 steigen, eine 265 Kilometer lange Autobahn die Städte Rabat und Tanger verbinden, die Flughäfen von Rabat, Casablanca, Marrakesch und Tanger sollen erweitert werden, Agadir bekommt sogar einen völlig neuen Airport.
Vor dem angestrebten ersten großen Fußballfest auf afrikanischem Boden plant Marokko jedoch noch einen anderen Coup: die Ausrichtung der Schach-Weltmeisterschaft 1993, die inklusive Preisgelder runde 13 Millionen Dollar kosten wird. Heute beginnt in Berlin der Kongreß der Welt- Schachföderation (FIDE), der zwischen den beiden Bewerbern Rabat und Los Angeles entscheidet. Drei der vier Halbfinalisten, die im Sommer 1992 im spanischen Linares den Herausforderer des Weltmeisters Garri Kasparow ermitteln, sprachen sich für die marokkanische Stadt aus: neben dem Ex- und nunmehr ewigen Vize-Champ Anatoli Karpow auch dessen Semifinal-Gegner, der Brite Nigel Short und der Niederländer Jan Timman. Nur dessen Kontrahent Artur Jussupow und Garri Kasparow favorisieren Los Angeles. „Wenn das Finale in Los Angeles gespielt wird, hat Kasparow die Organisatoren auf seiner Seite“, begründet Short seine marokkanische Präferenz, obwohl er zugibt, daß eine WM in den USA, wo das Interesse am Schach seit dem Abtritt des mythischen Bobby Fischer stark zurückgegangen ist, finanziell wesentlich interessanter wäre.
In die Fußstapfen Fischers, der seinen Titel, den er im isländischen Reykjavik sensationell dem sowjetischen Champion Petrosjan abgeluchst hatte, kampflos aberkannt bekam, könnte Kasparow schneller treten als ihm lieb ist. Er weigert sich kategorisch, in Marokko zu spielen. „Hassan II. ist ein Diktator, der die Menschenrechte nicht respektiert. Ich werde meinen Titel nicht in Rabat verteidigen.“ Sollte der Kongreß des Weltschachverbandes unter dem Vorsitz des alten Erzfeindes von Kasparow, dem philippinischen FIDE- Präsidenten Florencio Campomanes, dennoch für Marokko stimmen, droht Kasparow das gleiche Schicksal wie dem sagenumwobenen Schachgenie aus den USA. Doch der Weltmeister ist zuversichtlich: „Ich hoffe, daß das Votum des Champions mehr zählt als das der Kandidaten.“
Eine unrühmliche Rolle in der ganzen Sache spielte einmal mehr Berlin, das sich ursprünglich ebenfalls um die Austragung der Schach-Weltmeisterschaft bewerben wollte. Die großherrliche Sportstadt der Zukunft und Olympiabewerberin für das Jahr 2000 schaffte es jedoch nicht, die erforderlichen Sponsoren aufzutreiben. Matti
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