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PRESS-SCHLAGAfrikas Spielkultur

■ Abwehrspieler zu sein ist in Afrika eine Schmach/ Was zählt, sind geniale Dribblings, feine Tricks und Tore

Ugbade war sich seiner Mission sicher. Ein paar Tage vor der ersten Partie des nigerianischen Teams beim 18. Afrika-Cup erklärte der Nationalspieler seinem Trainer: „Du mußt mich aufstellen — ich mach' ein Tor!“ Doch Clemens Westerhoof legte nur seinen finstersten Gesichtsausdruck auf und fragte: „Was spielst Du?“ — „Verteidiger“, antwortete Ugbade und wurde bitter enttäuscht. „Eben. Du sollst verteidigen. Du sollst keine Tore schießen.“ Ende der Diskussion.

Ein Verteidiger will in Afrika niemand sein, das ist fast ehrenrührig. Nur die schlechteren Spieler, so heißt es, kommen in die Defensive, und die Arbeit dort verschafft keinen Ruhm. Die Zuschauer bejubeln allein gute Dribblings und tolle Schüsse. So paukt der Holländer Westerhoof den Nigerianern jeden Tag von neuem ein, wer warum auf welcher Position zu spielen hat. „Ich mußte ganz unten anfangen und habe alles ständig wiederholt.“ Jetzt, nach zweieinhalb Jahren, zahlt es sich aus. Keine Mannschaft agiert bei diesem Afrika-Cup so diszipliniert wie die athletischen Nigerianer, keiner spielt so schnörkellos und somit eigentlich unafrikanisch. Die Verteidiger, auch wenn sie viel lieber gefeierte Torschützen wären, verteidigen; im klassisch britischen Stil werden lange Bälle übers Mittelfeld geschlagen, um die enorm schnellen Stürmer Siasia (Lokeren, Belgien) und Yekini (Setubal, Portugal) zu erreichen. Folgerichtig erzielten diese beiden auch drei der vier Tore Nigerias in den Gruppenspielen gegen Senegal und Kenia und schossen ihre Mannschaft damit ins Viertelfinale.

Mit dem Aufenthalt afrikanischer Profis in Europa und dem Engagement europäischer Trainer in Afrika halten bei den afrikanischen Nationalteams langsam aber unaufhaltsam die Grundprinzipien taktische Ordnung, Disziplin und direkter Tordrang Einzug — nach Meinung Westerhoofs eine „deutliche Qualitätsverbesserung“. Doch nicht alle verzichten auf Ornamente: Wenn es um die Schönheit des Weges geht, sind die Kameruner Meister der Show.

Eine besonders gelungene Mischung von Intuition, Kreativität und mannschaftlicher Geschlossenheit zeigt vor allem die Überraschungsmannschaft aus Sambia. Vor dem Turnier auf fast keiner Expertenrechnung, siegte das Team um den in Eindhoven spielenden Stürmer Kalush Bwalya zwar glücklich durch ein Handtor über Ägypten, verlor dafür aber nur mit viel Pech 0:1 gegen das vom deutschen Otto Pfister trainierte Starensemble aus Ghana, dem zum Sieg schließlich ein lichter Moment von Abedi Pele, Afrikas Spieler des Jahres, genügte.

Die im Abschluß noch schwachen Sambier glänzten dafür mit Zweikampfstärke. Sie agieren nicht geradlinig robust, sie tanzen ihre Gegner aus. Schwarze Spieler, so glaubt der italienische Spielerberater Domenico Ricci, hätten einen anderen Körperschwerpunkt als weiße: Während ein Europäer seine Standfestigkeit in den Beinen hat, hält ein Afrikaner die Balance in Hüfthöhe ungleich länger. Mitunter wird diese Fähigkeit noch durch das Moment des Unerwarteten ergänzt. „Spiel doch ab“, denkt der europäische Beobachter, wenn ein Spieler ab der Mittellinie zum Sturm aufs Tor ansetzt. Der Spieler aber rennt wie ein Derwisch durch Pulks von Mit- und Gegenspielern — und scheitert oft erst beim Torschuß.

Zudem, auch das ist in allen Spielen zu sehen, profitieren viele Afrikaner vom improvisierten Training in jungen Jahren. Wer als Kind mit irgendwie kullernden, ballähnlichen Gegenständen auf holprigem Gelände das Fußballspielen gelernt hat, kann sich wendiger und verletzungsunanfälliger auf verspringende respektive unpräzise geschlagene Bälle einstellen, als jemand, der stets nur auf gepflegtem Rasen und mit prallen Lederbällen gekickt hat.

Manchmal aber hat die Zauberei mentale Grenzen. „Bei Gegentoren brechen die Mannschaften hier oft ein, dann geht nichts mehr“, hat Marokkos Trainer Werner Olk einen Mangel an Jetzt- erst-recht-Moral beobachtet. Sein Team mußte erfahren, daß diese Theorie nicht immer stimmt. Nachdem Marokko gegen Zaire in der 88. Minute durch ein hanebüchenes Abseitstor die Qualifikation fürs Achtelfinale gelungen war, kassierte die Elf noch im Torjubel den Ausgleich. (Im abschließenden Gruppenspiel erreichten Kamerun und Zaire durch ein 1:1 beide das Viertelfinale.)

Überhaupt steht es nicht zum besten mit den nordafrikanischen Teams aus Marokko, Algerien und Ägypten. Die einstmaligen Aushängeschilder des afrikanischen Fußballs sind von der Entwicklung in Schwarzafrika überholt worden. Als „antiquiert und überaltert“ wurden die Algerier nach ihrem 0:3-Debakel gegen die Elfenbeinküste abgekanzelt. Und nur in Maßen machten algerische Journalisten geltend, daß ihre Spieler ob des Militärputsches in Algerien nicht bei der Sache gewesen seien.

Eine Enttäuschung ist Gastgeber Senegal. Die auffällig nachlässig und lustlos spielende Elf mit Souleyman Sane erreichte das Viertelfinale mit einem 3:0 über Kenia nur, weil die junge Amateurequipe aus Ostafrika schlichtweg zu unreif spielte. Der Elf des österreichischen Trainers Gerhard Sauerer wurden drei Abwehrfehler zum Verhängnis. Da war sie eben wieder, die leidige Sache mit der geordneten Defensive. Katrin Weber-Klüver

und Christoph Biermann

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