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PRESS-SCHLAGVom Sowjetski zum Ruski

■ Spartak Moskaus Nationaltorhüter Tschertschessow

Im Anfang war Dassajew. Als Stanislaw Tschertschessow 1984 zu Spartak Moskau kam, stand da einer zwischen den Pfosten, der nicht nur bei Spartak, sondern auch in der Nationalelf ein Abonnement auf den Job hatte: Rinat Dassajew, 87facher Auswahlspieler, Spielführer des UdSSR- Teams und schlicht eine Torwartlegende. Erst als der zeitweise als bester Torhüter der Welt firmierende Ballfänger nach der Europameisterschaft 1988 zu Betis Sevilla wechselte, war Tschertschessow dran: bei Spartak und ein Jahr später auch in Anatoli Byschowetz' neu formierter Nationalelf. So ist der neue Mann mittlerweile auch schon 28 und hat das UdSSR-Trikot gerade zehnmal getragen. Hat Dassajew seine Entwicklung behindert? Im Gegenteil, behauptet Tschertschessow, „wir sind in jener Zeit gute Freunde geworden, und ich habe viel von Rinat gelernt.“

Die Zeiten haben sich wahrlich geändert. Tschertschessows Team Spartak Moskau tingelte im Januar durch deutsche Hallen, machte hier und dort ein Freundschaftsspiel, und wenn man sich mit dem Nationaltorhüter unterhalten wollte, ging man hin, bat um ein Gespräch und bekam es. Man setzte sich in eine ruhige Ecke und unterhielt sich, über Fußball, über Politik, und da war keiner, der zuhören wollte oder plötzlich eingriff, wenn ihm eine Frage nicht paßte.

Nach dem die UEFA beschlossen hat, die ehemalige UdSSR zur Europameisterschaft in Schweden zuzulassen, macht sich Tschertschessow keine Sorgen um sein Team. „Hauptsache, es wird gespielt“, meint er, „und die Mannschaft bleibt gleich.“ Wie Nationaltrainer Byschowetz geht der dreifache „Torhüter des Jahres“ davon aus, daß die ukrainischen Stars Protassow, Michailitschenko und Kantschelskis, die mittlerweile alle bei westeuropäischen Renommierklubs ihr Geld verdienen, bei der EM im Team stehen werden.

Doch die neue russische Liga wird definitiv ohne die ukrainischen Clubs auskommen müssen, und auch Dynamo Tiflis stieg aus. Wird dadurch nicht der russische Fußball auf Dauer geschwächt werden? „Njet“, meint Tschertschessow, gibt aber zu: „Die Spannung wird etwas gemindert, denn Spartak und Dynamo Kiew waren immer starke Rivalen.“ Dann muß der Schnauzbartträger grinsen: „Aber was soll's? Wir sind eh besser als Kiew.“ Was nicht ganz unrichtig ist, schließlich sind die Moskauer seit der ukrainischen Ausblutung gen Italia einmal Meister (1989), einmal Vize geworden und sorgten im vergangenen Jahr auch europaweit für Furore, als sie erst im Halbfinale des Landesmeisterwettbewerbs an Olympique Marseille scheiterten.

Ob Spartak aber trotz veränderter Verhältnisse eine europäische Größe bleiben kann, vermag Tschertschessow nicht zu sagen: „Naja, wir haben jetzt eine neue Mannschaft. Eure Bayern haben doch auch Probleme.“

Es habe eben alles seine zwei Seiten. Zum einen sei es „gut, daß man jetzt freier reisen und in Italien spielen kann“, zum anderen sei es schlecht, „daß alles abbröckelt“. Aha, es wird politisch. Da schießen wir schnell die berüchtigte Frage nach, was er von Gorbatschow hält. Der Nationalkeeper fängt auch diesen Ball: „Er hat Großes begonnen, doch er hatte keinen, der ihm zur Seite gestanden hätte.“

Ihn auch nicht? Oh, allzu politisch will Stanislaw nicht sein. Er stammt aus Allagir, einer kleinen Stadt im Kaukasus. Ethnisch gesehen ist er Ossete, politisch, da Ossetien zur Föderation gehört, Russe. Und als was fühlt er sich? Er sei genauso Russe wie Ossete, sagt er, fühle sich in Moskau sehr wohl, aber... Früher war es einfacher, setzt er nach, da war man Sowjetski. Aber eigentlich spiele das keine Rolle. Eine Rolle spiele, ob Tschertschessow in Schweden die Nummer eins sei, ob europäische Clubs auf ihn aufmerksam würden.

Apropos, was wird das Team auf Schwedens Fußballplätzen wert sein? Der Ossete bemüht ein russisches Sprichwort: „Die Zeit wird es zeigen.“ Peter Unfried

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