PRESS-SCHLAG: Ein Satz heiße Ohren
■ Statt einer Eiskunstlauf-Medaille für Surya Bonaly gabs Schläge für den Coach und Gold für Yamaguchi
Bei den Bonalys kam das Originalprogramm ausnahmsweise mal nach der Kür: Die gleichermaßen ehrgeizige wie impulsive Mutter der dunkelhäutigen Französin Surya Bonaly war derart enttäuscht über das Abschneiden ihres Adoptivkindes, daß sie kurzerhand dem Trainer Didier Gailhaguet einen Satz heiße Ohren bescherte. Der Trainer ohrfeigte feste zurück, denn auch er hatte allen Grund zum Ärger: Verboten hatte er seiner Läuferin, den vierfachen Toe-loop in der Kür zu springen. Doch Surya ritt der Teufel, sie wagte die Schwierigkeit — und stand. Dannach lief die mit viel Athletik und wenig Grazie gesegnete 18jährige jedoch derart lässig, daß ihr jegliche Faszination abhanden kam. Die Quittung: Platz fünf für die Französin — doch zurück in die Katakomben des Eiststadions von Albertville, zum Ohrfeigenduell zwischen Suzanne und Didier.
Die Übersprungshandlung der beiden Verlierer war charakteristisch für die Art, wie sie Dinge erzwingen wollen: Mit Gewalt. Gewaltsam wirkte die Promotionaktion im Vorfeld der Olympischen Spiele: Gold für Surya, krischen deren Sponsoren seit Wochen von den Plakatwänden. Gewaltsam wirkte auch die Kür: Zur agressiven Musik eines spanischen Stierkampfes stampfte die kleine Französin mit den Kufen aufs Eis — von weicher Gleittechnik keine Spur. Gewaltsam waren auch die Sprünge: Mit unglaublicher Kraft stößt sich Surya Bonaly von Eis ab, dreht sich akrobatisch um ihre Achse, um meist sicher, jedoch wenig anmutig zu landen. Letztendlich verkam das „Corrida“-Thema der Kür zu einem einzigen, mit Schnörkel versehenen Anlauf.
Eine Entwicklung, die trotz der letztjährigen Entscheidung, daß die B-Note für den künstlerischen Ausdruck im Zweifelsfall den Ausschlag geben soll, immer deutlicher zutage tritt. Der Sprungfetischismus ist nur auf dem Papier gebannt. Tatsächlich achten die Kampfrichter immer noch mehr auf die Sprünge als auf den Ausdruck. Was zwangsläufig dazu führt, daß immer mehr immer waghalsigere Sprünge gezeigt werden müssen, um ganz vorne dabeizusein — auf Kosten der Kreativität. Doch riskante Sprünge gelingen eben nur mit 70prozentiger Wahrscheinlichkeit — etwa ein Drittel aller Versuche werden aufs Eis gesetzt. Das wiederum stört die geforderte Anmut und Eleganz des Vortrags empfindlich.
Dieser sportartimanente Widerspruch trat in Albertville heftig zutage: Keine der Spitzenläuferinnen konnte ihr Kürprogramm fehlerfrei durchlaufen. Fast jede knallte irgendwann mit Karacho hernieder.
Auch Kristi Yamaguchi, die Olympiasiegerin aus den USA, stürzte. Doch sie brachte zumindest ein Minimum an Ausstrahlung aufs Eis — wenn auch jenseits aller Gänsehäute, die etwa eine Kati Witt mit ihren Küren produzierte. Den anderen Läuferinnen fehlte das gewisse Etwas ganz und gar. Die 22jährige Silbermedaillengewinnerin Midori Ito ist eine exzellente Springerin, aber keine strahlende Persönlichkeit. Auch die elegante Nancy Kerrigan (22), die Bronze erlief, fehlte vor lauter Nervosität jedes Charisma. Die deutschen Läuferinnen Marina Kielmann und Patricia Neske beendeten die Reise nach Frankreich als Elfte und 13. Kielmann: „Wir haben immerhin gekämpft.“ miß
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