PRESS-SCHLAG: Circus on Ice!
■ Nach der WM in Oakland droht eine Verarmung des Eiskunstlaufens/ Weltcup-Zirkus als Rettung
Die Weltmeisterschaften von Oakland konnten es nur notdürftig vertuschen: Der Eiskunstlauf steckt bis zum Hals im Dreck. Nicht wegen der vielen Bodenkontakte, die auch die besten Läuferinnen und Läufer bei ihren immer gewagteren Sprungversuchen zu verzeichnen haben, nicht wegen der eklatanten Unfähigkeit respektive Böswilligkeit der Preisrichter, und auch nicht wegen der starren Regeln, die beispielsweise im Eistanz der Kreativität enge Grenzen setzen. Was den Eiskunstlauf schleichend zugrunde richtet, ist die mittlerweile längst nicht mehr zeitgemäße Trennung zwischen Amateuren und Profis, der ständige Aderlaß zu den Eisrevuen. Kaum hat sich das Publikum an die neuen Stars gewöhnt und sie nach einigen WM- oder Olympia-Auftritten ins Herz geschlossen — schwupps, schon sind sie bei Holiday on Ice oder ähnlichen Institutionen, huschen in lächerlichen Kostümen als Schneewittchen oder Pinocchio übers Eis und nehmen allenfalls an den Wettbewerben der Profis teil, im Vergleich zu den Meisterschaften der Amateure praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Früher wurden die fatalen Auswirkungen des Exodus zu den Dollartöpfen durch das notgedrungene Beharrungsvermögen der östlichen Eiskünstler gemildert, der Abgang von Leuten wie Torvill/ Dean, Scott Hamilton, Toller Cranston, Denise Biellmann durch die dauerhafte Präsenz der Rodnina/Saitsew, Moisejewa/Minenkow, Fadejew, Pötzsch oder Witt kompensiert.
Seit dem Zerfall der Sportsysteme in der Sowjetunion und der DDR sind es jedoch gerade die Vertreter dieser Länder, die es am eiligsten haben, den miserablen Verhältnissen ihrer Heimat zu entrinnen und ihre Unterschriften unter fette Profiverträge zu setzen. Während der Kanadier Kurt Browning und die US-Amerikanerin Kristi Yamaguchi, die sich in Kalifornien vor ihrer Landsfrau Nancy Kerrigan und der Chinesin Lu Chen souverän den Weltmeistertitel holte, noch mit den Winterspielen 1994 in Lillehammer und damit dem Verbleib im Amateurlager liebäugeln, werden die russischen Olympiasieger und Weltmeister Mischkutjonok/Dmitriew, Klimowa/Ponomarenko und Viktor Petrenko ihre Schlittschuhe künftig für die Eisrevuen schnüren.
Das Eiskunstlaufen ist neben dem Boxen und dem Radfahren der letzte bedeutende Sport, bei dem die Profis nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen. Die Situation erinnert an den Tennissport Anfang der siebziger Jahre. Die Besten des Gewerbes betätigen sich im Abseits der Profiveranstaltungen, im Rampenlicht der großen Wettbewerbe steht die zweite Garnitur.
Am nächsten Wochenende findet in Cincinnati das Weltcup-Finale der Profis statt, ein Wettbewerb, der sich aus drei Veranstaltungen zusammensetzt. Favoritin für den Titel der Frauen ist Katarina Witt, die in Paris gewonnen und in Atalanta den dritten Platz belegt hat. Nur mitbekommen hat davon kaum jemand etwas.
Höchste Zeit, die obsolete Trennung aufzuheben und einen weltweiten Eiskunstlauf-Zirkus ins Leben zu rufen. „Der Weltcup wird einen Aufschwung erhalten, schon weil er in Zukunft offen für alle sein soll“, sagt die Karl-Marx-Städterin Witt, ein Schlittschuh wird aber nur umgekehrt daraus, wenn auch Welt-, Europameisterschaften und Olympiaden für alle offen sind. Yamaguchi gegen Witt, Klimowa/Ponomarenko und die Geschwister Duchesnay gegen Torvill/Dean, Petrenko gegen Hamilton, abseits der lästigen Verbandsstrukturen mit ihren verknöcherten Bestimmungen. Phantasie statt Regeltreue, spektakuläre Show statt krampfige Sprung- und Sturz-Festivals — die Zukunft des Eiskunstlaufens liegt in der künstlerischen Befreiung.
Bleibt ein Problem: die Punktrichter, die in Oakland wieder zu großer Form aufliefen. „Die Plazierungen stiegen und fielen wie der Dow-Jones-Index an der Börse“, hämte der 'San Francisco Examiner‘ anläßlich der Damen- Kür. Während bei manchen Läuferinnen krachende Bauchlandungen großzügig ignoriert wurden, rutschten andere nach kleineren Patzern in den Keller. So wirr wurde gewertet, daß es dem 'Examiner‘ nicht einmal gelang, niedere Beweggründe für die Noten- Eskapaden auszumachen: „Es ist nicht Nationalismus, Provinzialismus oder feudales Gehabe, was die Preisrichter leitet. Es ist einfach unlogisch.“ Schlichte Inkompetenz also.
Mit Profi-Preisrichtern anstelle der Funktionärsmarionetten könnte der Misere möglicherweise zu Leibe gerückt werden, grundsätzlich jedoch sollten es die Koryphäen der Eiskunst wohl auch künftig am besten mit Marina Kielmann halten, die nach ihrem 12.Platz sagte: „In Zukunft werde ich das Ganze nicht mehr so wichtig nehmen.“ Matti
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