PRESS-SCHLAG: Ein Spiel mit 30 Pausen
■ Eishockey in Amerikas legendärer National Hockey League (NHL) ist für die Zuschauer ein Geduldsspiel
Die Animation kommt vierfarbig von der riesigen Anzeigetafel: „Let's get loud!“ 16.000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Pacific Coliseum von Vancouver folgen der Regieanweisung brav. Kreischen und trampeln ohrenbetäubend, ohne daß es angebracht wäre. Denn unten auf der Eisfläche ruht der Spielbetrieb.
In Kanadas Wohnzimmern unterbrechen in diesem Moment mal wieder Werbespots die Übertragung des Eishockeyspiels zwischen den Vancouver Canucks und den Winnipeg Jets. Zehnmal pro Spieldrittel müssen die behelmten Akteure in der garantiert härtesten und besten Eishockeyliga der Welt pausieren, damit beim Staats-TV CBC — und damit indirekt auch bei den Clubs — die Kasse stimmt.
Daß das 60-Minuten-Spiel zu einem knapp dreistündigen Happening mit schleppendem Rhythmus gerät, nehmen die Fans gelassen hin. Sie haben ihr Popcorn, Pausen-Rock zum Mitstampfen und die Anzeigetafel, von der sie mal ihr Lärmvermögen an einem „Fanometer“ und dann wieder die kuriosesten Statistiken aus der 75jährigen Geschichte der National Hockey League ablesen können.
Der Mai ist in Nordamerika traditionell Eiszeit. Jedes Frühjahr geraten das eishockeyverrückte Kanada und — in Maßen — die USA anläßlich der Play-off-Spiele um den Stanley Cup aus dem Häuschen. Schon im Achtelfinale zwischen den Vancouver Canucks und den Winnipeg Jets gehen die Karten auf dem Schwarzmarkt vor dem Pacific Coliseum für wenigstens 50 Dollar weg.
Nicht die Bohne interessiert die Fans zwischen New York und Vancouver die Weltmeisterschaft in Prag, wo Kanada und die USA nur mit zweitklassigen Teams am Start sind. Was ist schon das frühe WM- Aus für die Kanadier und die USA gegen das gerade noch abgewendete Ausscheiden des Stanley-Cup- Titelverteidigers, der Pittsburgh Penguins, schon im Play-off-Achtelfinale? Daß die Schweden im fernen Europa einen obskuren Weltmeistertitel errungen haben, ruft höchstens spöttisches Achselzucken hervor. Gegen die Bostons Bruins etwa, die ihre Viertelfinalserie gegen den hohen Favoriten Montreal Canadiens sensationell mit 4:0 gewannen, oder die Chicago Blackhawks, die ihrerseits die Detroit Red Wings mit 4:0 aus dem Cup warfen, hätten die Skandinavier, so die allgemeine Überzeugung, ohnehin nicht die Spur einer Chance.
Dabei hing der große Saisonendspurt an einem seidenen Faden: Anfang April hatte die Spielergewerkschaft zum erstenmal einen Streik aller 21 Teams angezettelt. Zehn Tage rührten die Eisheiligen, die durchschnittlich 380.000 Dollar im Jahr kassieren, weder Schläger noch Fäuste und stritten mit den Eigentümern der Liga und der Clubs um größere Vertragsfreiheiten, bessere Pensionen und größere Teilhabe am lukrativen Geschäft mit den Fotosammelkarten.
Zeitungskommentatoren sinnierten schon über die Stornierung der Restsaison ausgerechnet im 75. Jahr der NHL und malten eine allgemeine Depression an die Wand, ehe sich die Kontrahenten im letzten Augenblick doch noch einigten und mit zweiwöchiger Verspätung die harte Arbeit wieder aufnahmen. Eine Sinnkrise haben die Fans — und das ist in Kanada in dieser Jahreszeit fast jeder — damit überstanden, eine andere indes droht sich zu verschärfen.
Europäische Ausländer, Russen vor allem, verdrängen immer mehr Kanadier aus der Liga. 34 Europäer skaten in dieser Saison in der NHL mit, nächstes Jahr könnten es schon doppelt so viele sein. „Kanadas Nachwuchs kann nicht mehr richtig Schlittschuh laufen und den Puck nicht führen“, macht der frühere NHL-Spieler Howie Meeker, der in Vancouver eine Eishockeyschule betreibt, einen schleichenden Kulturverfall aus. Was sie nicht in den Schlittschuhen haben, haben die Jung-Kanadier in den Fäusten, meint Meeker und findet es an der Zeit, sich wieder auf die pure Eishockeykultur und auf das Vorbild des legendären Filigrantechnikers Wayne Gretzky zu besinnen. Gretzky, Kanadas Inkarnation des sauberen, schönen Eishockeys, ist mit seinen Los Angeles Kings jedoch schon in der ersten Play-off- Runde ausgeschieden.
Noch im Rennen sind hingegen die Vancouver Canucks. Im entscheidenden siebten Spiel des Achtelfinales gegen Winnipeg gewannen sie, nicht zuletzt dank ihrer beiden russischen Puckartisten Pavel Bure und Igor Larionow, die ihrer Schnelligkeit und Torgefährlichkeit wegen von den Medien liebevoll „Russian Rockets“ genannt werden, mit 5:0 und bekamen es im Viertelfinale mit den Gretzky- Bezwingern aus Edmonton zu tun. Olaf Krohn
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