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PRESS-SCHLAGBertis Schnitt

■ Herbe Kritik am Bundestrainer nach der Niederlage im EM-Finale/ Berti Vogts kündigt Konsequenzen an

Während ganz Dänemark nach dem Sieg ihrer rot-weißen Kicker gegen die Deutschen im EM-Finale das Wochendende im Delirium verbrachte, begann im Land des Vize-Europameisters zügig das große Hauen und Stechen. Berti Vogts hatte noch nicht den Fuß auf heimischen Boden gesetzt, da fiel bereits die Meute der Besserwisser und Schreibtischstrategen über ihn her. Allen voran Paul Breitner, Spezialist des verbalen Flachpasses, der dem Bundestrainer museumsreifen Fußball und Großspurigkeit vorwarf, weil dieser vor dem Endspiel konditionelle Probleme der Dänen prophezeit hatte. Die hatten sie auch bekommen, was sie aber nicht daran hinderte, den etwas einfallslosen Angreifern des deutschen Teams die EM-Suppe mächtig zu versalzen. Allenthalben waren die Worte Blamage, Schmach, Debakel zu hören, starker Tobak angesichts dessen, was in Schweden tatsächlich passiert war.

Zum einen hatte völlig verdient die beste Mannschaft des Turnieres gewonnen, die trotz — und nicht wegen — fehlender Vorbereitung taktisch, kämpferisch und auch spielerisch allen anderen ein Stück voraus war, zum anderen hatte das deutsche Team zwar mitnichten überzeugend gespielt, aber immerhin bewiesen, daß es nach wie vor zu den stärksten in Europa gehört und, mit dem üblichen Glück, durchaus in der Lage ist, bei den großen Turnieren ganz vorn zu landen. Zwei gute Spiele gegen Schottland und Schweden, zwei schwache gegen GUS und Niederlande und ein Finale, in dem die Mannschaft keineswegs versagte, sondern einem übermächtigen Gegner unterlag. Alles in allem nicht besser und nicht schlechter als die meisten anderen auch. Der Nimbus des alle überstrahlenden Weltmeisters, den Bertis Kicker noch hochnäsig ins erste Match gegen die GUS getragen hatten, ist allerdings endgültig dahin. Das angebliche Superteam der Neunziger, dem Franz Beckenbauer auf Jahre hinaus Unschlagbarkeit prophezeit hatte, ist schon nach zwei Jahren auf dem Boden der europäischen Durchschnittlichkeit bruchgelandet.

Vogts ist es bislang nicht gelungen, den Restbestand an alternden Weltmeistern mit den Nachrückern der nächsten Generation in Einklang zu bringen. In der Abwehr vermochte nur Buchwald seinen angestammten Part als Ein- Mann-Festung zu spielen, während vor allem Kohler und Brehme erhebliche Probleme mit schnellen, trickreichen Kontrahenten offenbarten. Der Wurm saß jedoch eindeutig im Mittelfeld, das nicht in der Lage war, den durchaus überzeugenden Stürmern Riedle und Klinsmann die nötigen Vorlagen zu liefern. Häßler wirbelte zwar hurtig und ballgewandt übers Feld, ließ aber wie stets die Genauigkeit im Abspiel vermissen und vermochte es kaum, wirklich gefährliche Pässe von sich zu geben. Sammer, Effenberg, Doll spielten brav mit, mehr nicht. Solche Spieler hat jedes Spitzenteam in seinen Reihen, und wenn es Vogts nicht gelingt, endlich seinen einzigen Ausnahmekönner, Andreas Möller, sinnvoll zu integrieren, bleibt eigentlich nur die Hoffnung auf Mehmet Scholl. Von Möller, seiner „größten Enttäuschung bei der EM“, und Manfred Binz hat Vogts jedoch, wie es aussieht, die Schnauze voll. Überhaupt werde es einen Schnitt geben. Einige Leute könne er nicht mehr brauchen. Wen genau, mochte er allerdings noch nicht sagen.

Nicht ändern wird Vogts trotz des gelungenen dänischen Laissez-faire-Experiments die Art der Vorbereitung. Das Gequengel jener Altvorderen, die maßgeblich für den deutschen Horrorfußball der frühen achtziger Jahre verantwortlich waren, läßt ihn zu Recht kalt. Jede Mannschaft bekommt die Vorbereitung, die sie verdient, und gerade die, die heute am lautesten Zeter und Mordio schreien, liefern Vogts die Argumente für die strenge Kasernierung seiner Spieler. Während schon 1974 die Holländer mit ihren Frauen zusammenwohnten, fröhliche Parties feierten und trotzdem den besten Fußball spielten, ließen die Deutschen sich damals widerstandslos in Malente einsperren und machten den Mund nur auf, wenn es um die Prämien ging. Dafür büxten sie des nachts aus wie zwölfjährige Schüler auf Klassenfahrt, eine peinliche Aktion, die Paul Breitner heute allen Ernstes als Rebellentum verkaufen will.

Noch kläglicher war das Gebaren jener Mannschaft von 1982, und ausgerechnet dieser dichten Schumacher und Briegel jene „Typen“ an, die heute fehlen würden. Schon bei der Mini-WM 1981 in Montevideo brachten sie Argentiniens Trainer Menotti in Rage, weil sie bis in die Morgenstunden in einem Nachtclub sumpften und dann mit weichen Knien gegen die Brasilianer eingingen. In Spanien mauschelten sie sich 1982 bis ins WM- Finale, strotzten ansonsten vor Zynismus, streckten den Fans das nackte Hinterteil entgegen und gossen sich die Birne mit Rotwein voll, weit entfernt von der Selbstdisziplin der Dänen, die wissen, „wann wir spielen müssen und wann wir feiern können“ (Laudrup). „Wir haben acht Jahre gebraucht, um diesen schlechten Eindruck wettzumachen“, sagt Vogts und ist nicht gewillt, solche Sitten noch einmal einreißen zu lassen. Es ist Sache der Spieler, dem Bundestrainer klarzumachen, daß sie in der Lage sind, selbst auf sich aufzupassen, wenn sie vermeiden wollen, was Vogts schon jetzt mit ungewohnt sprühendem Witz angekündigt hat: „Bei der WM in den USA quartieren wir uns in Alcatraz ein.“ Matti

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