PRESS-SCHLAG: Der verlorene Sohn
■ Neapel wartet auf Diego Armando Maradona
Mit Unglauben wurde in Neapel die Nachricht von der mutmaßlichen Rückkehr des verlorenen Sohnes der Stadt, Diego Armando Maradona, aufgenommen. Nicht einmal seine treuesten Freunde im Team des SSC Neapel, die Spieler Crippa, Ferrara und Careca, hatten damit gerechnet, daß der Argentinier nach seiner fünfzehnmonatigen Kokainsperre noch einmal einen Fuß auf italienischen Boden und den Rasen des San-Paolo-Stadions setzen würde. Bis vor einigen Wochen hatte Maradona sogar hartnäckig behauptet, nie wieder professionellen Fußball spielen zu wollen, doch eine Episode, wie sie für Maradona kaum typischer sein kann, habe ihn, so heißt es, bewogen, wieder auf das Spielfeld zurückzukehren. Vor zwei Monaten wurde der Vater des 31jährigen Fußballartisten mit einem schweren Herzanfall ins Krankenhaus eingeliefert, am Krankenbett habe ihm Filius Diego versprochen, ein Comeback zu versuchen.
Maradona begann mit dem Training, nahm in vier Wochen fünf Kilo ab und stellte einmal mehr seine Fähigkeit unter Beweis, nach längerer Pause doppelt so schnell wie andere Spieler fit zu werden. „Am ersten Tag lief er nur sechs Minuten“, berichtet sein Konditionstrainer Javier Valdecantos, „und er war völlig fertig. 'Wie schwer wird das werden‘, dachte ich. Aber eine Woche später lief er schon eine halbe Stunde, ohne auch nur ein Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Er hat eine außerordentliche Physis für den Fußball.“
Einsetzen wollte Maradona diese Physis, nachdem ein Wechsel zu den Boca Juniors in Buenos Aires aus finanziellen Gründen nicht in Frage kam, am liebsten bei Olympique Marseille, doch während eines Schlichtungsgesprächs bei der FIFA stellte sich heraus, daß Neapels Präsident Corrado Ferlaino nicht im mindesten bereit war, sein Juwel so ohne weiteres laufen zu lassen und den bis zum 30.Juni 1993 gültigen Vertrag aufzulösen. Sportlich ist die Mannschaft von Napoli zwar gut in Schuß — gerade wurde ein 45minütiges Freundschaftsspiel gegen den AC Mailand mit 2:0 gewonnen —, doch der Kartenverkauf läuft seit Maradonas Abgang miserabel. Für die nächste Saison ist der Club erst 25.000 Abonnements losgeworden, zu Diegos großen Zeiten waren es stets mehr als 60.000. Die Rückkehr des Magiers von San Paolo würde den Verkauf kräftig in die Höhe treiben, zudem könnten lukrative Freundschaftsspiele auf europäischer Ebene absolviert werden. „Keiner war bereit, uns die Hand zu reichen“, klagte Maradona, nachdem ihn sein Vertreter Marcos Franchi über den Verlauf der Gespräche im FIFA-Haus in Zürich informiert hatte. „Ich glaube an die Leute in Neapel, aber nicht an Ferlaino, der mir und meiner Familie Böses getan hat. Neapel behandelt mich wie einen Sklaven. Das einzige, was Ferlaino interessiert, sind seine Abonnenten. Null Gefühle.“
Auch für den ballfertigen Argentinier dürften finanzielle Dinge jedoch durchaus eine Rolle spielen. Wenn er seinen Vertrag mit Neapel kündigt, gehen ihm seine eingefrorenen Gehälter der letzten fünfzehn Monate durch die Lappen und der Verein würde die rund sieben Millionen Mark zurückfordern, die er bei Abschluß seines letzten Dreijahresvertrages kassiert hatte. Schließlich erklärte sich Maradona unter gewissen Voraussetzungen zur allseitigen Überraschung bereit, wieder für Neapel zu spielen. „Wenn Ferlaino unsere sämtlichen Bedingungen akzeptiert“, meinte Franchi, „könnte Diego schon am Sonntag, dem 16.August, in Italien sein.“ Andernfalls, so Franchi, werde Maradona bei der FIFA um die Erlaubnis nachsuchen, für einen anderen Club spielen zu dürfen. Der Spieler selbst ist pessimistischer: „Wenn sie eine negative Antwort geben, ist meine Karriere beendet.“
Obwohl nach der Züricher Unterredung von den Beteiligten eine Nachrichtensperre verhängt wurde, sickerten Maradonas Bedingungen durch: Einsatz nur bei Heimspielen, Training nach Belieben, ein Haus auf Capri, medizinische Unterstützung bei seiner Drogentherapie, Streichung sämtlicher vom Verein verhängter Geldstrafen, die insgesamt rund 360.000Mark betragen, und Hilfe im Falle Cristiana Sinagra. Die Mutter seines unehelichen Sohnes Diego Armando junior tat allerdings bereits kund, daß sie nicht gedenke, erneut gegen Maradona zu prozessieren: „Ich wollte nur, daß das Kind den Namen seines Vaters trägt. Das habe ich erreicht. Ob er nach Neapel kommt oder nicht, ist mir egal.“
Mit gemischten Gefühlen sehen etliche Tifosi der Rückkehr des einstigen Stadtheiligen entgegen. Sie fürchten, daß Maradona dem Verein wenig Positives, dafür aber neue Unruhe bringt. „Ich bin skeptisch“, sagt der fußballbegeisterte Schriftsteller Luciano De Crescenzo. „Fußball heißt Leiden. Und weiß Diego noch zu leiden?“ Matti
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