PRESS-SCHLAG: Helm ab!
■ In der US-Eishockeyliga NHL wird die Helmpflicht abgeschafft/ Faustkämpfe weiter gern gesehen
Nach dem Streik der Eishockeyprofis im letzten Frühsommer, der um ein Haar die Play-offs um den Stanley-Cup verhindert hätte, war auf der Führungsebene der NHL eigentlich Großreinemachen angesagt. Die Klub-Präsidenten hatten in der Auseinandersetzung mit den Spielern nicht die beste Figur gemacht, die komplette Unfähigkeit des NHL-Managements war offenkundig geworden. Der kamerascheue Liga-Präsident John Ziegler, ein Vertreter der alten, von den Kanadiern dominierten Garde, der standhaft gegen zu viel TV-Präsenz und die Teilnahme der Stars an den Olympischen Spielen gekämpft hatte, mußte gehen, an seine Stelle trat Interims-Präsident Gil Stein. Der machte sich sofort daran, einen Kontrakt mit dem Kabelsender ESPN auszuhandeln und strebt ein besseres Image des Eishockey in der Öffentlichkeit an — vermittelt auch über Olympia. Doch seine Chancen, tatsächlich etwas bewirken zu können, sind in etwa die „eines Schneeballes in Florida“ (International Herald Tribune). Stein ist US-Amerikaner, verdächtig innovativ, und er zog sich den Zorn der alten Garde zu, als er deren Mitglied Brian O'Neill aus dem Amt des Vizepräsidenten drängte.
Beim sommerlichen Treffen der Klub-Besitzer in St. Petersburg Beach in Florida flog Gil Stein gleich mit seinem ersten Versuch, das Ansehen des Eishockey zu verbessern, auf den Bauch. Er wollte erreichen, daß Spieler, die auf dem Eis einen Faustkampf bestreiten und so an jedem Spieltag für negative Schlagzeilen sorgen, sofort ausgeschlossen werden. „Das würde die Jobs von drei Dutzend Vollzeit-Rüpeln vernichten, deren größte Befähigung es ist, mit Schlittschuhen an den Füßen die Nasen anderer Leute zu polieren“, bemerkte der Journalist Joe Lapointe.
Genau das befürchten vor allem die Vertreter der kanadischen Jugendligen, wo diese Art Eishockey gern gepflegt wird. Sie vermuten, daß dann anstelle ihrer rauhbeinigen Zöglinge zunehmend technisch begabte Europäer in die NHL strömen, wo die Spieler aus der Alten Welt, besonders aus der GUS und der CSFR, ohnehin eine immer größere Rolle spielen. „Die spontanen Kämpfe waren das einzige, was ich hier schützen wollte“, erklärte Pat Quinn, der Präsident der Vancouver Canucks, und obwohl fast die Hälfte der Teams für die rowdyfeindliche Regelung war, kam es schließlich bloß zu einem Kompromiß: Nur die Anstifter der Raufereien sollen des Eises verwiesen werden. Schon in der letzten Saison erhielten die Anstifter eine zweiminütige Zusatzstrafe, doch bei lediglich 26 Prozent der Faustkämpfe war ein Anstifter zu ermitteln.
Eine andere neue Bestimmung, die Erstaunen erregte, betrifft die Helmpflicht. Seit 1979 mußte jeder Spieler, der neu in die NHL kam, einen Helm tragen. Nur den Veteranen, wie etwa dem legendären Guy Lafleur, war es noch gestattet, baren Hauptes dem Puck nachzujagen. Nun wurde im heißen Florida plötzlich wieder Wahlfreiheit bezüglich der Kopfbedeckung eingeführt. Der erste Grund, den die Befürworter nannten, mutet ziemlich merkwürdig an: Ohne Helm sei ein Spieler verletzlicher, daher hätten die Gegner mehr Skrupel, ihm ihren Schläger über den Schädel zu hauen. Eine etwas fromme Hoffnung, schließlich hatte etwa Adam Graves von den New York Rangers in der letzten Saison nicht die mindesten Probleme damit, Pittsburghs elegantem Star Mario Lemieux mit einem wohlgezielten Stockschlag das relativ ungeschützte Handgelenk zu brechen.
Wesentlich plausibler ist das zweite Argument. Spieler, die nicht gepanzert wie mittelalterliche Kreuzritter daherkommen, sondern deren Gesicht und Haarschnitt zu erkennen sind, lassen sich erheblich besser vermarkten. Solange zumindest, wie die Kontrahenten darauf verzichten, das Antlitz ihrer Berufskollegen einer geschmackvollen Schönheitsoperation nach Eishockeyart zu unterziehen. Matti
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