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PRESS-SCHLAGDer sächsische Muskelberg

■ Michael Hübner aus Karl-Marx-Stadt wurde bei der Bahn-WM in Valencia Doppelweltmeister

Als seine Heimatstadt noch Karl- Marx-Stadt hieß, galt Michael Hübner als Verlierertyp — und wurde dafür von den DDR-Radsportfans bedauert und geliebt. Das Kraftpaket mit 68cm Oberschenkelumfang fuhr in den 80er Jahren mit dem Fahrrad so schnell wie nur noch einer. Hübners Pech hieß Lutz Heßlich, kam aus Cottbus und sammelte zwei Olympia- und vier WM-Siege. Der lebenslustige Athlet Hübner verlor in vier WM- Endläufen gegen den asketischen Taktierer Heßlich dreimal. Nur 1986 triumphierte der Sachse.

Als seine Heimatstadt zu Chemnitz wurde, mutierte Michael Hübner zum Gewinnertyp — und wurde dafür von den großdeutschen Radsportfans bestaunt und bezahlt. Das verstaubte Image des Profisprints polierte der 100-Kilo-Mann im Alleingang auf: Doppelsieg bei der WM 1990 in Maebashi — Start einer Keirin-Karriere in Japan. Weltmeister im Keirin 1991 in Stuttgart — Start als Großverdiener auf bundesdeutschen Winterbahnen. Nun wurde Hübner in Valencia Strahlemann-Champion in beiden Profidisziplinen. „Der Sieg im Sprint ist so wichtig, weil ich ihn gegen die gedopten Australier Pate und Hall voriges Jahr verlor“, freute sich der 33jährige. Danach hatte er dann keine Lust mehr.

„Ich mußte stundenlang mit ihm reden“, erzählt Hübners Trainer Karsten Schmalfuß. Erst vor dem Finale bekam Hübner richtig Lust auf seinen dritten Keirin-Titel. Prompt fuhr er die Konkurrenz in Grund und Boden, ließ sich vom spärlichen spanischen Publikum feiern und mit ungefähr 167 Hostessen fotografieren. Mit seinem sechsten Weltmeistertitel hat er zugleich den heutigen Fahrradladen- Besitzer Lutz Heßlich eingeholt.

Die Welt ist in Ordnung für Michael Hübner. „Ich habe nie Anabolika genommen“, schwört der Muskelprotz grinsend einem ungläubigen Schweizer Journalisten. „Die Japaner fahren für die Moral, ich fahre für meinen Marktwert“, gesteht er offenherzig der internationalen Presse. Michael Hübner will nun ans große Geld. Mit dem Olympiazweiten Neiwand (Australien) und den Profis Carpenter (USA) und Colas (Frankreich) kommen weitere Sprinter zur Hübner-Gruppe nach Karl-Chemnitz- Stadt. Sie sollen den Veranstaltern im Paket als kompletter und teurer Sprint-Zirkus angeboten werden.

Nur einer macht den WM-Star unsicher: Olympiasieger Jens Fiedler aus Berlin. „Zwei Großverdiener verträgt die Profiszene auf der Bahn nocn nicht, der Fiedler soll doch lieber Amateur bleiben“, wünscht sich Michael Hübner. Die nächsten Olympischen Spiele 1996 in Atlanta sind erstmals auch für Profis offen. Dann könnte ein 37jähriger Michael Hübner aus Chemnitz erstmals Olympiasieger werden. Er könnte aber auch längst wieder zum ewigen Verlieren zurückgekehrt sein — wie es einst in Karl-Marx-Stadt so oft geschah. Ole Richards (Valencia)

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