PREDIGTKRITIK: »Wenn der Herr sich hier verherrlicht«
■ Ein Gottesdienst in der Evangelischen Freikirche
Werden wohl wieder nur die Nötigsten kommen«, huscht es mir durch den Kopf, während ich meinen Regenschirm dem prasselnden Morgenregen entgegenstemme. Zugegeben, nach dieser wochenlangen Dürre hat der monsunartige Niederschlag etwas durchaus Erfrischendes — dem sonntäglichen Kirchgang ist das schlechte Wetter allerdings erfahrungsgemäß eher abträglich. Um so erstaunter bin ich, daß durch die einladend geöffnete Pforte der Kreuzberger Evangelischen Freikirche ein fröhliches — und polyphones! — Stimmengewirr dringt. Verwundert verlasse ich meinen gewohnten Kirchpfad, der mich zur Passionsgemeinde hätte führen sollen, und kehre kurzentschlossen ein unter dem weit über dem Gotteshaus phosphorgrün leuchtenden Neonkreuz.
Die aufgekratzte Stimmung im Foyer wird von Luise verursacht. Sie ist gerade mal eine knappe Woche alt und wird als jüngstes Gemeindemitglied von allen Freikirchlern freudig begrüßt und lächelnd bestaunt. Stolz schieben Werner und Elke ihren Wonneproppen in den lichten Kirchraum, wo die Gemeinde gerade, die unzähligen plappernden Kinderstimmen nur mühsam übertönend, ein kräftiges Halleluja anstimmt.
Der Gottesdienst hat schon begonnen, die immer noch lärmend in den Kirchraum strömenden Familien reihen sich gesanglich ein in »Lobpreist den Herrn«. Irritiert suche ich nach dem Gesangbuch. Aber offenbar ist in der Freikirche so manches anders: Ein Over- Head-Projektor wirft den Liedtext ganz fortschrittlich an die Altarwand, »Du bist unser Heiligtum« steht jetzt zufällig auf dem Querbalken des großen Holzkreuzes. Was für ein schöner Wink Gottes. — »Wenn der Herr zu uns kommt, dann geschehen große Dinge«, eröffnet der Pfarrer den Gottesdienst und nimmt die Predigt anläßlich des Psalmwortes gleich vorweg. Wir sollen alle durchlässig werden für das heilige Wort, sollen es auf uns niederprasseln lassen wie den morgendlichen Regen, denn das Wort Gottes wird uns erfrischen, beglücken und segensreich befruchten. »Wenn sich der Herr jetzt selbst hier verherrlicht«, erklärt uns der Pfarrer in freier und enthusiastischer Rede, »dann werden unsre Herzen frei!«
So redet und redet und redet er, frisch, fromm, fröhlich, frei. Und wer nicht gerade mit seinem Kind beschäftigt ist, hört lächelnd zu, freut sich über die gute Stimmung im Raum und den göttlichen Segen. »Wer ist jetzt fröhlich im Herzen?« fragt der Pfarrer in die Runde. Viele Hände recken sich gen Himmel und Herrlichkeit, und der Pfarrer ist's zufrieden. Noch ein mehrstimmiges »Gott liebt alle Kinder«, dann verlassen die vielen Mädchen und Jungen den Kirchraum zum Kindergottesdienst im Keller. Ich schleiche mich mit ihnen hinaus, mag nicht mehr so griesgrämig neben diesen vielen gutgelaunten Freichristen sitzen und so erwachsen ihre kindliche Fröhlichkeit bestaunen.
Wenn der Herr wirklich Sonntag für Sonntag unter seine vielen Kirchdächer einzieht, dann bekommen die Freikirchler wohl das lustigste Stückchen Heiligkeit ab, denke ich, durch den prasselnden Regen in Richtung Redaktion trabend. Meinen Regenschirm lasse ich stecken. So ganz durchlässig gut gelaunt, wie ich jetzt bin, erscheint er mir ziemlich überflüssig. Klaudia Brunst
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