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PREDIGTKRITIKVon Jesus gestellt

■ 6. Sonntag nach Trinitatis, Marienkirche am Alex

Im offenen Kirchenportal sitzt jeden Sonntag vor Beginn des Gottesdienstes eine Zigeunerin mit ihren Kindern. Ein Baby hält sie im Arm, ein etwa achtjähriges Mädchen hockt ihr gegenüber. Gemeinsam murmeln sie den Kirchenbesuchern entgegen und halten die Hände auf. Nur ein paar Groschen liegen im Schoß der Frau, dabei muß bereits so mancher an ihr vorbeigegangen sein: Als ich die Kirche betrete, wundere ich mich, wie viele Leute da sind. Es wird mit Hingabe gesungen.

Der heutige Predigttext behandelt das Thema der Taufe, aufgezeichnet im sechsten Kapitel des Römerbriefes: »...wir, die wir in Jesus getauft sind, sind mit ihm begraben im Tod, damit wir auch in einem neuen Leben mit wandeln können«, steht dort, und weiter: »Unsere Sünden werden durch ihn aufgehoben. Sind wir mit ihm gestorben, so werden wir mit ihm auferstehen.«

Meistens springt einem ja beim Hören des Predigttextes ein aktueller Bezug geradezu an. Heute fällt mir eigentlich nichts rechtes ein, außer vielleicht, daß auch Pfarrer gelegentlich mit dem Sommerloch zu kämpfen haben.

Der Pfarrer hat so seine Probleme mit dem Einstieg. Da liest er den Text eben nach der Lesung noch mal vor. Dann endlich spricht er uns auf unsere Taufe an. Wir hören, daß wir diese nicht als dogmatisches Argument sehen sollen, sondern als Möglichkeit, aktiv in die Veränderung von Lebensumständen einzugreifen. Wir sollten den Mut haben, uns »anders als viele Mitmenschen zu verhalten«, zum Beispiel auf dem Ausländeramt. Oder auf dem Wohnungsamt, wenn wir erleben, daß Mitbürger drangsaliert werden. Oder wenn wir uns in einem Genehmigungsverfahren für oder gegen ein Kernkraftwerk entscheiden sollen.

Verstohlen blicke ich mich um, um zu sehen, wie die anderen diese Predigt wohl aufnehmen. Ich weiß immer noch nicht, worauf der Pfarrer hinauswill. Aber alle Mienen sind immer noch gleich ehrfürchtig, genau wie beim Singen.

»Taufe heißt Sterben und Leben«, höre ich weiter, und in allgemeinen Erläuterungen der beiden Begriffe schreitet die Ansprache fort. Was mir im Gedächtnis bleibt, ist, daß die Getauften die Beweise ihrer besonderen Kraft immer wieder erbringen sollten. Das können sie auch, denn in ihr Bild von sich und anderen zeichnen sie das Bild Jesu immer mit hinein. Sie bleiben mit Jesus im ständigen Gespräch und können die Arbeit dort aufnehmen, wohin Jesus sie stellt.

An irgend etwas erinnert mich diese Formulierung, und später, nach dem Gottesdienst, fällt es mir auch ein: Es gab einen SED-Leitspruch, der so ähnlich lautete: »Da, wo die Partei mich hinstellt, werde ich gebraucht.« Es gibt eben Sätze, die bleiben im Kopf. Als ich die Kirche verlasse, sitzt die Zigeunerin immer noch da. Hoffen wir für sie, daß die Verbindung der Getauften zu Jesus nach dem Gottesdienst besser funktioniert. Sibylle Burkert

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