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PORTRÄTDas kurze Comeback eines Dissidenten

■ Mohammed Boudiaf (72) ließ sich seinen Weg zurück in die Politik von der Junta ebenen

Gerade ein halbes Jahr ist es her, daß die algerische Junta Mohammed Boudiaf aus dem marokkanischen Exil zurückgeholt hat. Lange Zeit war er in Algerien eine Persona non grata. Doch plötzlich war ein Mann wie er wieder gefragt. Gerade wegen seines Rufes als „Linksabweichler“ und politischer Dissident sollte er nun dazu beitragen, dem algerischen Staatsrat wenigstens einen Hauch von Legitimität zu verleihen. Anfang der sechziger Jahre hatte er in den Kerkern von Ben Bella dafür büßen müssen, daß er die algerische Revolution fortsetzen wollte. Danach hatte er das Land verlassen müssen. Er ging nach Marokko, wo er sich der „Partei der sozialistischen Revolution“ anschloß, die in Algerien im Untergrund agierte. Boudiafs Ruf war daher nicht durch die Korruption und die Machtkämpfe des algerischen politisch-militärischen Establishments verdorben. Nicht zuletzt deshalb erschien er den Putschisten als der geeignete Mann für die Position des Staatsratsvorsitzenden.

Mohammed Boudiaf wurde 1919 in der ost-algerischen Stadt M'Sila geboren, damals ein Zentrum des antikolonialen Widerstandes gegen Frankreich. Wie alle Algerier leistete auch er seinen Militärdienst in der französischen Kolonialarmee ab, wo er als Begründer eines Soldatenkomitees politisch aktiv wurde. Seine Karriere begann mit einem Mißerfolg. Denn der Chef der nationalistische Partei (PPA), Messali Hadj, lehnte die Aufnahme dieses Komitees ab. Daraufhin ging Boudiaf in den Untergrund und bereitete in der „Organisation Speciale“ (OS) den bewaffneten Kampf gegen die französische Kolonialmacht vor. Von Anfang an stellte er sich gegen Hadj, den Führer der algerischen Nationalisten und gründete das revolutionäre Komittee CRUA, das zum Vorläufer der Befreiungsbewegung und später alleinregierenden FLN wurde. Am 1. September 1954 begannen sie den Aufstand. Boudiaf, der historische Chef der Befreiungsbewegung, tauchte später in verschiedenen Positionen aller „provisorischen Regierungen“ auf, aber die Zeit seiner politischen Erfolge war schnell vorüber: In der FNL hatten Ben Bella, Boumedienne und mit ihnen die Armee die Macht übernommen.

Regierungsumbildung konnte das Dilemma nicht auflösen

Daß er sich den Weg zurück in die algerische Politik von den Mitgliedern einer Junta hat bahnen lassen, die dem kurzen Frühling der algerischen Demokratie ein jähes und blutiges Ende gesetzt haben, hat viele, die seinen Lebensweg kannten, in Erstaunen versetzt. Als Vorsitzender des Hohen Staatsrates war er es, der Mitte Februar die Verhängung des Ausnahmezustandes für ein Jahr mit beschloß und in öffentlichen Ansprachen wiederholt verteidigte. Er war es, der den Zynismus besaß, die algerische Islamische Heilsfront FIS zur „Einhaltung der demokratischen Spielregeln“ aufzufordern. Eine ebenfalls im Februar unter seiner Regie durchgeführte Regierungsumbildung, die unter dem Druck ausländischer Kapitalgeber zustandekam und die Lage durch Wiederbelebung der algerischen Wirtschaft entspannen sollte, konnte das Dilemma der algerischen Politik nicht auflösen. Die Unruhen und der staatliche Terror gegen jene Bewegung, für die sich eine Mehrheit der Algerier in den abgebrochenen Parlamentswahlen entschieden hatte, hat seither viele Menschen das Leben gekostet. Nun gehört auch Mohammed Boudiaf zu den Opfern. Oliver Fahrny/Nina Corsten

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