PORTRAIT: Er war weniger der heroische Einzeltäter denn Opfer
Klaus Fuchs, deutscher Atomphysiker, der den Sowjets ab 1942 Informationen zum Bau ihrer ersten Atombombe lieferte, starb 76jährig in der DDR ■ Ein Nachruf von Wolfgang Meyer
Die Abendnachrichten erwähnen seinen Tod mit der üblichen sporadischen Kürze. Knapp einen Monat nach seinem 76. Geburtstag ist Klaus Fuchs in der DDR gestorben. Untrennbar mit seinem Namen verbunden: Der Begriff Atomspion. Von 1942 bis 1948 hat er den Sowjets Atomgeheimnisse verraten und als Einzelgänger ein Kapitel Weltgeschichte beeinflußt.
Als im August 1949 die erste sowjetische Atombombe explodierte, hatte der Sowjetunion niemand zugetraut, die Bombe aus eigener Kraft bauen zu können. In den USA wurde die Suche nach undichten Stellen aufgenommen. Vage Verdachtsspuren wiesen auf Klaus Fuchs, der als Physiker im engsten Kreis von Los Alamos an der Entwicklung der ersten Atombombe gearbeitet hatte. Neben Edward Teller und Richard P. Feynman, mit denen er eng befreundet war, gehörte er dort zur jüngeren Garde der Physiker von Los Alamos. Wie viele andere seiner Kollegen hatten ihn das Exil und seine antifaschistische Gesinnung nach Los Alamos verschlagen. Denn die Bombe, an der der dort gearbeitet wurde, sollte ge gen Nazideutschland eingesetzt werden, um einer möglichen deutschen Atombombe zuvorzukommen. Die Wege, die ihn ins Zentrum der amerikanischen Atombombenforschung führten, verdienen es, nachgezeichnet zu werden.
Als Sohn eines Arbeiterpfarrers, einer der ersten, die der SPD beitraten, wurde er am 29. Dezember 1911 in Rüsselsheim geboren. Sein Vater galt als einer der führenden Theologen, die eine Synthese von Theologie und Sozialismus theoretisch umsetzten. Wer das Schicksal der Familie näher verfolgt, erfährt eine Lehrstunde über die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Zwei Geschwister von Klaus Fuchs werden durch die Nazis getötet, der Vater kommt eine zeitlang ins Gefängnis, eine Schwester muß in die USA emigrieren. Die Familie Fuchs war nicht jüdischer Herkunft; der Vater ein linker Sozialdemokrat, die vier Kinder Kommunisten. Klaus Fuchs mußte 1933 nach England emigrieren. Sein Physikstudium konnte er unter ärmlichen Bedingungen bei zwei späteren Nobelpreisgewinnern absolvieren: Nevil Mott und Max Born, der ihn als Assistenten einstellte.
Klaus Fuchs galt als fleißig, strebsam, emsig. Aus seiner kommunistischen Überzeugung hatte er in England keinen Hehl gemacht. Er promovierte in Mathematik und Physik. Seine Mitarbeiter betrachteten ihn als Arbeitstier. Nicht genial, aber herausragend. Und dennoch. Mit 29 gehört er zu den führenden Atomphysikern.
Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wird er interniert. Mit nazitreuen Matrosen und Kaufleuten muß er ein Jahr in kanadischen Lagern verbringen. Eine kleine Zelle aus Kommunisten versucht im Lager Politik zu machen. Angesichts des Hitler-Stalin- Paktes, den Fuchs vehement verteidigt, ein schwieriges Unterfangen. Bemühungen von Freunden und Kollegen in England bewirken, daß er nach Großbritannien zurückkehren kann. Rudolf Peierls, gebürtiger Berliner und ebenfalls Emigrant, war mit 27 Physikprofessor in Birmingham geworden. 1940 hatte er ein Memorandum verfaßt, in dem er die englische Regierung auf die militärischen Nutzungsmöglichkeiten der Uranspaltung hinwies. Für das britische Atomrüstungsprogramm forderte er Klaus Fuchs an. Ende 1941 stieg Klaus Fuchs darin ein, ohne zunächst zu wissen, worum es ging.
Der Überfall auf die Sowjetunion hatte die Kommunisten in aller Welt aktiviert. Jürgen Kuczynski, heute der führende Historiker der DDR, war die leitende Figur des kommunistischen Widerstandes in London. Doch die wenigsten wissen, daß er auch eine Agentenvergangenheit hinter sich hat. Kuczynski arrangiert einen Kontakt zwischen Fuchs und der sowjetischen Botschaft. Ab 1942 liefert Klaus Fuchs alle Informationen ab, die er über das britische Atomprogramm hat.
Als Fuchs begann, Atomgeheimnisse zu verraten, hat er als loyaler Kommunist gehandelt. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, daß er eine bedeutende Rolle in Los Alamos spielen würde. Alle Darstellungen, die ihn als einen mit seinem Gewissen kämpfenden Einzeltäter beschreiben, gehören deshalb in das Reich der Legende. Klaus Fuchs selber hat nie dazu beigetragen, diese Legende zu widerlegen. Tatsache ist, daß das britische Atomprogramm 1942 in seinen Anfängen stand, und die Auswirkungen damals nicht überschaubar waren.
Als er zusammen mit Rudolf Peierls seine Berufung nach Los Alamos erhielt, war dies für ihn überraschend. Doch es gab auch kein Zurück mehr. Von Amerika aus hielt er die Sowjets ständig auf dem laufenden über den Fortgang der Entwicklungen. Dabei war er amateurhaft dreist. Um Atomgeheimnisse aus Los Alamos zu schmuggeln, bedurfte es keiner großen Anstrengungen. Man kann heute mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß seine Informationen den Sowjets ein bis zwei Jahre Entwicklungsarbeit an der Atombombe ersparten. Eine Zeitspanne, die deshalb so wichtig ist, weil die USA 1950, während des Koreakrieges, nur deshalb vom Einsatz von Atombomben abgehalten wurden, weil sie bereits einen nuklearen Gegenschlag befürchten mußten. So gesehen hat Klaus Fuchs wahrscheinlich dazu beigetragen, einen dritten Weltkrieg zu verhindern.
1946 kehrte er nach England zurück. Er wurde befördert. Auch gegen die USA versuchten die Briten ihre eigene Atombombe zu bauen. Klaus Fuchs wurde einer der Leiter des englischen Atombombenprojekts. Ein Umstand, der bei seiner späteren Verhaltung von Bedeutung werden sollte. Sein Schweigen darüber wurde mit einer relativ kurzen Gefängnishaft honoriert: 14 Jahre, von denen er neun absaß. Freunde von ihm berichten, daß er vor seiner Verhaftung mit dem Kommunismus gebrochen habe. Andere mutmaßen, daß er Skrupel hatte, in ein kommunistisches Land zu gehen, weil seine Aussagen dazu beitrugen, das Ehepaar Rosenberg auf den elektrischen Stuhl zu bringen.
In der DDR wurde Klaus Fuchs Leiter des Atomforschungszentrums von Rossendorf bei Dresden. Über seine Tätigkeit dort gibt es wenig zuverlässige Informationen. Er galt als Hardliner. Öffentlich äußerte er sich zuletzt, als er sich 1986 gegen das SDI- Porgramm aussprach, als dessen Vater Edward Teller, sein ehemaliger Freund, gilt.
Verschiedene Welten? Man sollte darauf achten, wer Klaus Fuchs zu seinem Tode kondoliert. Vielleicht wird die Namensliste zukünftigen Historikern einige Aufschlüsse bieten. Das Neue Deutschland jedenfalls schrieb gestern in einem Nachruf, die SED verliere mit Fuchs „einen Genossen, der sein ganzes Leben dem Kampf der Partei der Arbeiterklasse gewidmet hat“. Sein „konsequentes Handeln für den Sozialismus“ habe ihm hohes nationales und internationales Ansehen gebracht. Der Fall Klaus Fuchs eignet sich weder zu einem Agentenfilm noch zu einem Spionageroman. Die Wahrheit ist nüchterner und banaler. Man sollte sich Klaus Fuchs weniger als Täter, denn als Opfer vorstellen.
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