PORTRAIT: Nicht wegen der Hautfarbe
Bill Morris, erster Schwarzer an der Spitze der britischen Gewerkschaft TGWU ■ Von Ralf Sotschek
„Wir sehen ihn nicht als Schwarzen“, sagte der britische Gewerkschaftsfunktionär Jack Adams. „Für uns ist er einfach Bill.“ Die Rede ist von Bill Morris, der am vergangenen Wochenende mit deutlicher Mehrheit zum Generalsekretär der Transport and General Workers Union (TGWU) gewählt wurde. Morris selbst spielte die Bedeutung herunter, die seine Wahl an die Spitze der größten britischen Gewerkschaft vor allem für Minderheiten hat. „Ich wollte nicht wegen meiner Hautfarbe gewinnen“, sagte er. Wichtiger noch: „Ich wollte deshalb aber auch nicht verlieren.“
Sein Gegenkandidat George Wright vom rechten Gewerkschaftsflügel hatte im Wahlkampf vor weißen Arbeitern immer wieder auf Morris' Hautfarbe hingewiesen, bis Ron Todd, der noch amtierende TGWU-Generalsekretär, eingriff und diese Taktik unterband.
Bill Morris kam 1952 im Alter von 13 Jahren aus Jamaika nach Birmingham, wo seine Mutter lebte. Nach Schulabschluß arbeitete er in einer Autofabrik am Fließband und wurde mit 24 Jahren Betriebsratsvorsitzender. 1976 wurde er Gewerkschaftsvorsitzender von Northampton und seit 1985 war er stellvertretender TGWU-Generalsekretär. Er profitierte davon, daß der linke Flügel seine einflußreiche Wahlkampfmaschine für ihn einsetzte, obwohl er selbst eher im Hauptstrom der Labour-Politik angesiedelt ist. Deshalb ist er auch bei Schwarzen keineswegs unumstritten. Morris ist in der Vergangenheit unerbittlich gegen die Organisation von Schwarzen innerhalb der Labour Party eingetreten, weil er das für eine „gönnerhafte Form der Apartheid“ hält. Morris sagte, seine Wahl beweise, daß niemand wegen seiner Hautfarbe oder Rasse daran gehindert würde, „dieser Gewerkschaft auf höchster Ebene zu dienen“. Sein Optimismus steht jedoch im krassen Gegensatz zur Realität. Morris ist der einzige schwarze TGWU-Funktionär, obwohl fast 14 Prozent der 1,2 Millionen Gewerkschaftsmitglieder Schwarze oder Asiaten sind — mehr als bei jeder anderen Gewerkschaft. Nur einen Tag vor Morris' Wahl wurde ein Regierungsbericht veröffentlicht, in dem es hieß, daß die anti-diskriminatorische Gesetzgebung aus dem Jahr 1976 versagt habe: Bei der Arbeitsplatzvergabe werde nach wie vor stark gegen Minderheiten diskriminiert. Dennoch weigert sich die Londoner Regierung weiterhin beharrlich, etwas dagegen zu unternehmen.
Morris steht vor keiner leichten Aufgabe. Er muß die Interessen der verschiedenen Gewerkschaftsflügel unter einen Hut bringen, die wegen Mitgliederschwund kritische Finanzlage beheben und vor allem gegen die Apathie in der Gewerkschaftsbewegung ankämpfen. Morris wird die Nachfolge Ron Todds im nächsten März antreten.
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