PORTRAIT: Rudolf Dreßler, der Traditionalist
■ Der SPD-Sozialexperte will Vorsitzender der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion werden
Herbert Wehner gehört zu seinen großen Vorbildern, weil der immer für „die vielen Benachteiligten in der Arbeitsgesellschaft“ gestritten hat. Jetzt strebt Rudolf Dreßler nach dem Amt, daß Wehner viele Jahre in unnachahmlicher Art ausgefüllt hat. Er will SPD-Fraktionsvorsitzender werden.
Rudolf Dreßler, das ist sozialdemokratische Arbeiteraristokratie. Schon Vater und Großvater sind fest verwurzelte Sozialdemokraten und Gewerkschafter, sein Herkunftsort heißt Wuppertal, der erlernte Beruf Schriftsetzer, später Maschinensetzer. Dreßler wird Betriebsratsvorsitzender und Mitglied im Hauptvorstand der IG Druck.
Die sozialdemokratische Karriere führt über Unterbezirk und Bezirksvorstand schließlich bis ins Parteipräsidium — eine Laufbahn wie aus dem Rezeptbuch für sozialdemokratische Sozialpolitiker. Der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, der sozialpolitische Sprecher und stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion sieht für Partei und Fraktion Nachholbedarf: die wahlenthaltsame oder zur Union abgedriftete Arbeitnehmerschaft wiederzugewinnen.
Es liegt nahe, daß einer mit diesem Weg und dieser Ansammlung von Funktionen als Arbeitnehmervertreter von Berufs wegen oft mehr als Typus denn als Person wirkt. Dreßler selbst trägt dazu bei, das Klischee des Traditionalisten auszufüllen.
Er gibt sich stets zuversichtlich-siegesgewiß, verfügt über eine kräftige Statur und ebensolche Stimme, die gegen den Lieblingsgegner Norbert Blüm argumentiert und gerne starke Worte findet. Die Gesundheitsreform bezeichnete er als „Abkassierungsmodell“ zu Lasten der kleinen Leute — aber als guter SPD-Sozialpolitiker kooperiert er, wo Kompromiß und Partnerschaft nötig scheinen. Dreßler brachte die Verständigung mit dem Regierungslager auf den Weg, als die Rentenreform anstand.
Vom streitbaren SPD-Vize Oskar Lafontaine, von den „Modernisierern“ der SPD unterscheidet sich Dreßler nicht nur in Sachfragen — vielleicht werden diese Differenzen sogar überschätzt. In der spektakulären Kontroverse um Lafontaines Thesen zu Arbeitszeitverkürzung und Lohnverzicht widerspach Dreßler nicht grundsätzlich. Nur eine Trennlinie ist scharf: Die Erwerbsarbeit bleibt für Dreßler der Ausgangspunkt für jede sozialpolitische Reform, gleichgültig ob es um die Pflegeversicherung oder die Grundsicherung geht.
Dreßler, Jahrgang 1940 und damit wenig älter als seine Gegenkandidatin Däubler-Gmelin, gehört einfach nicht zu den „Enkeln“ — dieser Unterschied ist ganz deutlich. Tissy Bruns, Bonn
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