PORTRAIT: Präsident Sali Berisha
■ Vom Leibarzt Hoxhas zum Parteiführer — auf dem Volkstribun lasten die letzten Hoffnungen der Albaner
„Für ein Ramiz-Alia-freies Albanien“ — die Kampfparole der Studenten aus Tirana ist rasch in Erfüllung gegangen. Alia, der letzte der realsozialistischen Heroen des Rückzugs, ist seiner Absetzung zuvorgekommen und hat sich elegant verabschiedet. Jetzt ist für Sali Berisha der Weg frei ins Präsidentenpalais. Berisha, elegant, gut aussehend, ganz und gar Volkstribun, verkörpert die Sehnsucht der Albaner nach westeuropäischer Normalität. Sehr spät hat der renomierte Kardiologe die Lager gewechselt. Studium in Frankreich, danach Leibarzt des hinfälligen Enver Hoxha — Berisha gehörte dem kleinen Kreis privilegierter Intellektueller an, die in den späten 80er Jahren mit zunehmender Dringlichkeit Reformen anmahnten. Aber weder er noch Ismail Kadare oder Gramoz Pashko, der Ökonom und spätere Rivale um die Führung der Demokratischen Partei, glaubten 1990 an ein rasches Ende der Diktatur. Geschweige denn, daß sie ein demokratisches Programm entwickelt hätten. Im Dezember 1990, als die Studenten der Universität Tirana streikten, schickte Ramiz Alia den Genossen Berisha als Unterhändler auf den Campus. Erst die Konfrontation mit dem sich rasch politisierenden studentischen Protest brachte Berisha dazu, mit den Kommunisten zu brechen. Er zählte zu den Gründungsmitgliedern der Demokratischen Partei, die wenige Tage nach der Proklamation des Parteienpluralismus aus der Taufe gehoben wurde. Nicht ganz zu Unrecht bestritt Berisha die Legitimität des Wahlsiegs, den die Kommunisten im Frühjahr 1991 errangen: Die Kontrolle der die Wahl entscheidenden ländlichen Gebiete durch die Realsozialisten war noch ungebrochen.
Nur widerwillig stieg Berisha in die große Koalition ein, die, Folge der ökonomischen Katastrophe und des Exodus von zehntausenden Albaner nach Italien, gebildet wurde. Im Winter 1991 war er einer der Protagonisten des Bruchs mit den Wendesozialisten. Er setzte sich gegen Politiker wie Pashko oder Neritan Ceka durch. Die nachträgliche Entwicklung bestätigte die Richtigkeit dieses Entschlusses. Wenn überhaupt einer politischen Kraft, trauten die Albaner nur den Demokraten unter seiner Führung zu, einen Ausweg aus der Misere zu finden.
Mittlerweile genießt Berisha unter seinen Landsleuten eine Verehrung, die Züge des religiösen Wahns angenommen hat. Wehe ihm, wenn nicht rasch der ökonomische Aufschwung kommt. Zum Glück für den Volkshelden stehen die Chancen nicht so schlecht. Sali Berisha hat das Vertrauen George Bushs und der Eurokraten. Er ist trotz demagogischer Sprüche ein kühl rechnender Verstandesmensch. Die 100 Millionen Dollar, die nötig sind, um die Produktion wieder anzukurbeln, wird er im Westen allemal einsammeln. Christian Semler
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