PORTRAIT: Ein Draufgänger und ein Krankenpfleger
■ Die Mitarbeiter der privaten Hilfsorganisation Asme Humanitas, Strübig und Kemptner, glaubten sich trotz mehrfacher Warnungen im Libanon sicher
Die von ihren Entführern aufgenommenen Videobilder einer bizarren Weihnachtsparty gingen im vergangenen Dezember um die Welt. In dunkle Anzüge gesteckt, die fettigen langen Haare mühsam in Form gekämmt, saßen die beiden deutschen Geiseln Heinrich Strübig und Thomas Kemptner vor einer auf Tapete gedruckten Alpenlandschaft irgendwo im Libanon. Während eine an einem Weihnachtsbaum befestigte Lichterkette flackerte, als sei sie an eine Lichtorgel angeschlossen, blätterte Strübig in der aktuellen Ausgabe des 'Spiegel‘.
Die bleichen Gesichter ließen ahnen, daß es ihnen ihre Entführer schlechter gehen ließen, als sie der Öffentlichkeit durch die makabre Inszenierung weismachen wollten. Kemptner nippte an einem Glas mit einer bunten Flüssigkeit und verlas auf englisch von den Entführern vorgefertigte Weihnachtsgrüße für die Angehörigen sowie den an Bundeskanzler Helmut Kohl gerichteten Hinweis, daß ihr Schicksal „absolut“ mit dem Schicksal der in der Bundesrepublik inhaftierten Hamadi-Brüder verknüpft sei. Die Bemerkung kontrastiert deutlich zu den Beteuerungen der Bundesregierung, die Freilassung der letzten beiden westlichen Geiseln im Libanon sei ohne deutsche Zugeständnisse zustande gekommen.
Am 16. Mai 1989 waren die beiden Mitarbeiter der privaten bundesdeutschen Hilfsorganisation Asme Humanitas in der libanesischen Hafenstadt Sidon von Schiiten verschleppt worden. Der damals 27jährige Thomas Kemptner war gerade zehn Tage für die Hilfsorganisation im Libanon. Erst im Frühjahr des Jahres hatte sich der Krankenpfleger aus Hamburg auf eine Anzeige gemeldet, um einen zweimonatigen „Friedensdienst“ in dem Bürgerkriegsland zu leisten. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft soll er die Nase voll gehabt haben.
Seine Geiselnahme hat er wahrscheinlich dem Leichtsinn Heinrich Strübigs zu verdanken. Der zur Zeit der Entführung 48jährige ehemalige Bergmann aus Iphofen bei Würzburg galt im Libanon als egozentrischer Draufgänger. In irriger Selbstsicherheit bewegte er sich zwischen den verschiedenen Demarkationslinien hin und her. Bereits einige Wochen vor der Entführung kam er gemeinsam mit zwei anderen Mitarbeitern der Organisation in die Hände von Kidnappern. Diese ließen ihre Opfer aber kurz danach wieder frei. Ein Umstand, der seine Selbstüberschätzung als „untouchable“ möglicherweise noch gestärkt hat. In den siebziger Jahren war Strübig Geschäftsführer der Frankfurter Hilfsorganisation medico international. Wegen „schuldhafter Verletzung der Dienstaufsichtspflicht“ verurteilte ihn 1976 ein Gericht zur Rückzahlung von 30.000 Mark. Strübig ging zu Asme Humanitas, einer Hilfsorganisation, die 1976 durch den Zusammenschluß der Marburger „Arbeitsgemeinschaft für soziale und medizinische Entwicklung“ (Asme) und der Freiburger „Humanitas“ entstand. 1986 stand Strübig erneut wegen Veruntreuung vor Gericht. Er wurde freigesprochen, mußte sich aber von der Staatsanwaltschaft im Schlußwort vorhalten lassen, seine Profilierungssucht sei mindestens ebensogroß wie sein Wille zu humanitärer Hilfe.
Asme Humanitas war seit 1987 in den Palästinenserlagern im Süden Libanons aktiv. Strübig wurde Leiter der Niederlassung neben dem Lager Miyeh. Nach Angaben ehemaliger Kollegen interpretierte er seine Chef-Befugnisse dahingehend, daß er die Freiheiten anderer rigoros einschränkte, während er selbst den starken Mann spielte, der alles durfte. Die Mitarbeiter von Asme Humanitas im Libanon verstanden ihre Aufgabe über humanitäre Hilfe hinausgehend. Entgegen wiederholter Warnungen des Bonner Außenministeriums blieb die Organisation im Kriegsgebiet präsent. Strübig wollte gar ein Frühwarnsystem gegen israelische Luftangriffe auf die Palästinenserlager installieren und Journalistenreisen „an die Front“ organisieren.
So unbekümmert wie Heinrich Strübig zwischen „roten Linien“ im Südlibanon herumhüpfte, unterhielt er auch Kontakte zu den verschiedensten rivalisierenden Milizen und politischen Gruppen. Ursprünglich genossen die Mitarbeiter von Asme Humanitas im Libanon den Schutz der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Doch obwohl die Palästinenser anfangs hoch erfreut über die Hilfe aus Deutschland waren, distanzierte sich die PLO im Jahr 1989 von Asme Humanitas. Wegen ihrer undurchsichtigen Kontakte war die Organisation in den Verdacht gekommen, auch mit den verschiedensten Geheimdiensten zusammenzuarbeiten.
Daraufhin versprach die Schiitenmiliz Amal, sich um die Sicherheit der Asme-Mitarbeiter zu kümmern. Die Zusage konnte die von Syrien unterstützte Gruppe im Fall von Kemptner und Strübig nicht einhalten. Die von Nabih Birri, der heute libanesischer Minister ohne Aufgabenbereich ist, geführte Miliz steht in scharfer Konkurrenz zur proiranischen Hizb-Allah, mit der Strübig und Kemptners Entführer aufs engste verbunden sind. Thomas Dreger
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