piwik no script img

PORTRAITSein letzter typischer „Momper“

■ Der Einstieg in eine Immobilienfirma war das Ende von Mompers kometenhafter Karriere

Am Abend des 9. November, um 22.35 Uhr, gab es für den Mann kein Halten mehr: „Mein Platz ist jetzt woanders“, erklärte Walter Momper, Regierender Bürgermeister der ersten rot-grünen Koalition in Berlin. Fluchtartig verließ er das Fernsehstudio des Senders Freies Berlin, wo er gerade in einer Live-Runde die neuesten Reiseerleichterungen für DDR-Bürger diskutierte. Im Senatsdaimler jagte der Regierungschef zum Grenzübergang Invalidenstraße, nachdem ihn auf einem Zettel die Nachricht erreicht hatte, daß die Mauer durchlässig geworden sei. Der Mann mit dem unauffälligen Trenchcoat, aber dem um so auffälligeren roten Schal, bahnte sich mit einem Megaphon den Weg durch die Massen, mahnte zur Besonnenheit — und strahlte. Zwar hatte er noch wenige Wochen vorher wieder einmal die gleichberechtigte Existenz zweier deutscher Staaten gefordert. Doch wer erinnerte sich in dieser Nacht aller Nächte noch daran. „Walter, hättste das gedacht“, schrie ein Genosse. „Walter, wir danken dir“, tönte es aus dem Volk.

Das Bild der Glatze mit dem roten Schal ging um die Welt, über Nacht wurde Momper international berühmt — und erreichte den Zenit seiner Karriere, noch ehe er so recht begriffen hatte, was da in Berlin passiert war. Der Parteilinke und gelernte Politologe tat sich schwer mit der deutschen Einheit und der Rolle Berlins als Hauptstadt, auch wenn er später nichts mehr davon wissen wollte. Momper Superstar reiste durch die Hauptstädte der vier Siegermächte, ging bei den Regierungschefs und Außenministern in Paris, London, Washington und Moskau ein und aus. Während er international hofiert wurde, begann zu Hause der unaufhörliche Niedergang.

Selten hat in Berlin ein SPD-Politiker eine solch kometenhafte Karriere vollzogen, selten jemand in kürzester Zeit einen solchen Absturz erlebt. Und das durchaus selbstverschuldet. Mitte der achtziger Jahre noch ein völlig unbedeutender Kreuzberger Kommunalpolitiker, setzte sich Momper 1988 überraschend gegen den damaligen Berliner DGB-Chef Michael Pagels als Spitzenkandidat der SPD durch — und gewann gegen seinen Rivalen Eberhard Diepgen (CDU) im Januar 1989 die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Nach langwierigen und erbitterten Verhandlungen ging der Pragmatiker Momper das Wagnis ein, mit der Berliner Alternativen Liste (AL) eine rot-grüne Koalition zu bilden und holte sich acht Frauen in seinen Senat.

Doch die Chancen des Bündnisses wurden verspielt. Von Anfang an behandelte Momper, der in Berlin berüchtigt ist für seinen autoritären Führungsstil und seine einsamen Entscheidungen, den kleinen Koalitionspartner als eher lästigen Appendix. Die Koalitionskrise wurde zum geflügelten Wort, in nächtelangen Sitzungen stritt man sich hinter verschlossenen Türen über die Atomforschungsanstalt Hahn-Meitner-Institut, den Streik der Berliner Erzieherinnen im Herbst 1989 und den Verkauf eines Filetgrundstücks am Potsdamer Platz an Daimler-Benz. Momper ließ sich damals wie heute gar nicht oder von den falschen Leuten beraten. Wichtige Entscheidungen fielen stets im Kreise des sogenannten „Küchenkabinetts“ im Schöneberger Rathaus. Die undankbare Aufgabe, die Koalition immer wieder zu kitten und am Laufen zu halten, fiel damals Fraktionschef Ditmar Staffelt zu, seither Mompers größter Rivale in der Berliner SPD.

Am 2. Dezember 1990 kam die Stunde der Abrechnung: Bei den Wahlen zum ersten Gesamtberliner Parlament nach 44 Jahren erhielt die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten, der Stuhl des Spitzenkandidaten und Parteichefs wackelte erstmals heftig. Mompers Strategie war nicht aufgegangen: Er hatte im Oktober, wieder einmal im Alleingang, die Räumung mehrerer besetzter Häuser in Ost-Berlin angeordnet. Die AL stieg aus der Koalition aus, die Berliner dankten es jedoch der SPD nicht, wie Momper gehofft hatte. Er mußte endlich begreifen, daß die Stunde seines größten Triumphes, die Nacht des Mauerfalls, ironischerweise auch die Stunde seines Abstiegs war. Die deutsche Einheit hatte Berlin nahezu unregierbar gemacht, die Senatsspitze jegliche Bodenhaftung verloren. Momper mußte zähneknirschend zusehen, wie Eberhard Diepgen gleich einem Phönix aus der Asche auftauchte und Regierender Bürgermeister der wiedervereinten Stadt wurde.

Der Abstieg war von nun an unaufhaltsam. Weder gelang es Momper, einen Senatorenposten in der Großen Koalition zu ergattern, noch bekam er den relativ unbedeutenden Posten des Olympiamanagers. Seine Entscheidung, Generalbevollmächtigter in einem berüchtigten Immobilienunternehmen zu werden, war sein letzter typischer „Momper“: Er hatte geglaubt, daß die Partei auch das schlucken würde. Dieser Alleingang war das Ende seiner politischen Karriere. Kordula Doerfler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen