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POLIZISTEN IN GORLEBENDie Ruhe im Einsatzwagen

Die Einsatzkräfte in Gorleben igeln sich in einem hermetischen Kosmos ein, in dem die Popcornmaschine in der Cafeteria eine ungeahnte Bedeutung erhält. Dem Druck von außen begegnen sie mit einem eigentümlichem Polizeisprech.

Polizisten in Gorleben: zwischen den Einsätzen sind die Wartezeiten lang Bild: dpa

Die Spitzkehre, die von der B 216 in Dannenberg nach Pisselberg führt, ist ganz klar kein Hotspot des diesjährigen Castor-Einsatzes. Aber eine kleine Seitenstraße verläuft hier parallel zum letzten Gleisabschnitt vor Dannenberg - und so ist diese Stelle mindestens bis Montagmittag, als der Castor-Zug an der Verladestelle eintrifft, strategisch extrem wichtig.

Faktisch jedoch ist hier tote Hose. In den zwei Tagen und Nächten, in denen Hundertschaften aus Niedersachsen alle paar Meter in ihren Fahrzeugen die Stellung halten, geschieht zusammengefasst: nichts.

Gefahrenzulage gibt es hier höchstens wegen Langeweile - in einem Wagen sitzen bei Dauerstandheizung sechs Männer und eine Frau der Polizei aus Delmenhorst. Es ist so eng, dass im Fond aufgeatmet wird, wenn jemand raus zum Rauchen geht. "Wir lesen, hören Radio, unterhalten uns", sagt der Fahrer. Sein Kollege erzählt, dass man sonst in Leerlaufphasen auf Einsätzen auch mal eine DVD gucken könne oder irgendwas. Hier sind die Bullis so vollgepackt, dass kein Laptop mehr hinten reingehen würde.

Auf ihre Weise sind die Bereitschaftspolizisten in ihren Wagen genauso ghettoisiert wie in Gewahrsam genommene Demonstranten. 14 Stunden am Stück hocken sie im Dienst mit nicht viel mehr zum Unterhalt als mittelmäßigem Kaffee. Und zur Erholung nach Dienstschluss kehren sie rudelweise in ihre Gemeinschaftsunterkunft zurück: die Liegenschaft am Sägewerk in Dannenberg. Polizistenghetto par excellence. Richtig klagen mögen die im Sägewerk hausenden Polizisten nicht. Herzstück ihrer Unterkunft ist die Cafeteria. Das Essen sei gut dort, heißt es. Die Polizisten erlauben sich ihre Späßchen mit der dort aufgestellten Popcornmaschine. So gibts auch mal ein bisschen Aufregung - oder zumindest Comic relief.

Im Einsatz wahrt die Polizei per Definition Fassade - was längst nicht heißt, dass sie nicht selbst am Rande der Erschöpfung ist. Wem nach 14 Stunden Dienst mittags eine Schlafpause verordnet wird, kann auch mal um 17 Uhr wieder im Dienst sein. Showdown ist natürlich in Gorleben, bei einem Kräftemessen, in dem beide Seiten die letzten Reserven mobilisieren.

"Oooh-ne Castor, hättet ihr jetzt frei", wird zu der Einer-geht-noch-Melodie improvisiert, ganz vorne in der Sitzblockade auf der Zufahrtstraße zum Atommülllager. Die Pastorin Christine Rüegg-Hermes, die mitten in der Sitzblockade vor dem Zwischenlager Demo-Seelsorge anbietet, hört den Spruch und grinst: "Konstruktiv hämisch, kann man sagen." Die Polizisten schauen konsterniert.

Hilmar Heppt und Guido Koch vom "Mobilen Team 3" sind Teil des vordersten Zipfels des Räumungskommandos. Der Job der beiden Polizeisprecher ist es aber, zu reden und nicht zu räumen - immer freundlich, und nie ganz frei von Jargon. Der Polizeisprech ist voller Abkürzungen - mit "Gesa" ist nicht etwa der Mädchenname, sondern die Gefangenensammelstelle in Lüchow gemeint. Auch über den Selbstmord eines Bundespolizisten in einer der zwei Liegenschafts-Kasernen in Lüneburg vergewissern sich die Polizeisprecher gegenseitig der korrekten Sprachregelung. Die lautet kaum überraschend: "Die staatsanwaltlichen Ermittlungen laufen." So klingt der kleinste gemeinsame Nenner.

Und dann müssen die Polizeisprecher Koch und Heppt am Zwischenlager in Gorleben auch noch versuchen, das Kauderwelsch ihrer Kollegen zu übersetzen. Sie sind einen ganzen ewig währenden Einsatz lang hauptamtlich mit Sprach- und Stilfragen befasst.

Im Lautsprecherwagen der Polizei auf Zwischenlagerseite sitzt ein gewisser Karsten - er sagt, die Presse würde die Polizei massiv an der Arbeit behindern, und fordert sie auf, sich auf den Fahrradweg zurückzuziehen. Abgesehen von den presserechtlichen Implikationen fragen sich die Zuhörer vor allem: Fahrradweg? Welcher Fahrradweg? Das ist der wohl unpassendste Begriff für den Rand der Kampfzone. "Die genaue Formulierung könnte man sich sicher fürs nächste Mal besser überlegen", sagt Guido Koch diplomatisch.

Um 00.48 Uhr schallt die zweite Räumungsankündigung vom Gorlebener Ende der Blockade herüber - der Mikrofonmann der hinteren Räumungsfahrzeuge verhaspelt sich, kriegt ein belustigtes: "Wirst du mal Tagesschausprecher". Und lässt dann versehentlich das Mikro an, so dass sekundenlang noch Gemurmel und Geknirsch aus dem Wageninnern übertragen wird. Einer der Wortfetzen klingt exakt wie "… Fresse polieren …". Bis ein anderer Kollege zum Wagen läuft und ans Fenster klopft. Und dann, zum ersten Mal in dieser Ausnahmesituation: eine ganze Sekunde peinliche Stille.

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