POLITISCHER ASCHERMITTWOCH: SINNVOLL, ABER DIESMAL HARMLOS : Große Koalition macht Feindbilder kaputt
Die FDP hält derzeit offenbar die Grünen für die politischen Hauptgegner. Angesichts der Machtverhältnisse in Berlin ist das eine erstaunliche Analyse. Die SPD benutzt den – mittlerweile auch in den eigenen Reihen ungeliebten – bayerischen Ministerpräsidenten als Ziel fürs Tontaubenschießen. Was nicht erstaunlich ist. Linkspartei und Wahlalternative sind mit sich selbst beschäftigt. Auch kein Wunder. Alle gemeinsam waren gestern damit beschäftigt, ein politisches Ritual jedes Sinns zu berauben. Und somit denen Recht zu geben, die der Ansicht sind, dass es Politikern nur um die Macht und längst nicht mehr um Inhalte geht.
Für feinsinnige Argumente ist der Politische Aschermittwoch nicht berühmt. Hier werden traditionell die Stammtische der Republik bedient, nicht deren politologische Hauptseminare. Es ist wohlfeil, darüber die Nase zu rümpfen. Denn es steckte von jeher eine sehr demokratische Botschaft in den derben Veranstaltungen: Streit gehört zum Pluralismus und führt nicht schnurstracks zu Feindschaft und Gewalt. Größtmögliche Harmonie ist nicht das höchste Ziel.
Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte kann der Wert dieser Botschaft nicht überschätzt werden. Die Letzten, die ihn gering achten sollten, sind die Bundestagsparteien. Sie – sie alle – verdanken dem Meinungsstreit jeden Einfluss, den sie in den letzten Jahrzehnten gewinnen konnten.
Solange die Führungsspitzen der Parteien noch über Selbstachtung verfügen, müssten sie eigentlich jede Möglichkeit zur Profilierung nutzen. In Zeiten einer großen Koalition gibt es davon ohnehin nicht mehr so viele. Sie tun es nicht. Und zumindest die Großen werden dafür – vorläufig – auch noch belohnt: Derzeit halten nur sieben Prozent der Bundesbürger die Arbeit der Regierung für mangelhaft oder schlecht. Alles prima also ? Rente mit 67? Mehr Geld für Europa? Höhere Mehrwertsteuer? Die neue Harmonie ist nicht inhaltlich begründet. Sie speist sich lediglich aus dem Wunsch nach gutem Benehmen. Die Erfahrung lehrt: Die Halbwertszeit für diesen Wunsch ist kurz. Die neue Feigheit vor dem politischen Gegner dürfte sich bitter rächen. Vermutlich noch vor dem nächsten Aschermittwoch. BETTINA GAUS