POKERRÄUBER: Großfamilie als Kampfbegriff

Seit Tagen spekulieren Medien über eine Beteiligung zweier konkurrierender kurdisch-libanesischer Großfamilien an dem Überfall. Belege gibt es nicht

Die Deutsche Polizeigewerkschaft nimmt die Festnahme der mutmaßlichen Pokerräuber zum Anlass, um gegen kurdisch-libanesische Großfamilien in Berlin zu hetzen. Diese seien kriminell und für Tausende von Straftaten pro Jahr verantwortlich, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Bodo Pfalzgraf am Dienstag. Er forderte die Ausweisung der Täter, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Der Republikanische Anwaltsvereins (RAV) spricht von übler Stimmungsmache. "Ganze Familien unter Generalverdacht zu stellen ist unverschämt", sagte Anwalt Rüdiger Jung. Polizeisprecher Frank Miller betonte, die Polizei ermittele grundsätzlich gegen Einzeltäter und nicht gegen Familien.

Unter Berufung auf anonyme Polizeiquellen wird in den Medien seit Tagen über eine angebliche Beteiligung zweier konkurrierender kurdisch-libanesischstämmiger Großfamilien an dem Pokerraub im Hyatt Hotel spekuliert. Bei dem Überfall am 6. März wurden 242.000 Euro erbeutet. Fünf Tatverdächtige im Alter zwischen 19 und 28 Jahren - deutsche, türkische und libanesische Staatsangehörige - sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Von zweien ist bekannt, dass sie miteinander verwandt sind. Die Beute sei sehr ungleich verteilt worden, sagte ein Justizsprecher am Dienstag. Einer der Beschuldigten, "der offenbar weniger beteiligt war", habe nur 5.000 Euro erhalten, stärker exponierte Mittäter sollen bis zu 45.000 Euro bekommen haben. Am meisten - vermutlich knapp 100.000 Euro - habe der zuletzt festgenommene 28-Jährige einbehalten, der als Organisator des Überfalls gilt. Ermittler vermuten, dass er davon mögliche Tippgeber bezahlen musste. Nach diesen wird nun gesucht.

Ob die Tatverdächtigen zu der Gruppe der 3.000 bis 4.000 libanesischen Kurden in Berlin gehören, wie Pfalzgraf meint, wenn er gegen kriminelle Großfamilien hetzt, ist unklar. Es handelt sich um sogenannte Mhallamiye-Kurden, die früher in den Libanon geflüchtet sind und in den 80er-Jahren aufgrund des Bürgerkriegs nach Europa und Deutschland kamen. Die Einbürgerungen fanden in der Regel Anfang der 90er-Jahre statt.

Von diesen Großfamilien sei bekannt, dass sie tief in die organisierte Kriminalität wie Rauschgift und Prostitution verstrickt seien, heißt es in Sicherheitskreisen. Die Gebiete für die Geschäfte seien fest abgesteckt. Wenn ihnen andere Clans ins Handwerk pfuschten, gebe es Ärger.

Dass einzelne Angehörige dieser Familien in die organisierte Kriminalität verstrickt seien, "mag sein", sagte Anwalt Jung. Aber das sei kein Grund, alle über einen Kamm zu scheren. Mit dem "Kampfbegriff Großfamilie" werde eine ganze Volksgruppe dämonisiert. "Die Weizsäckers sind auch eine Großfamilie. Aber zu denen sagt man das nicht", sagt ein anderer Anwalt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.