PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Hände hoch, Hosen runter
Nirgends wird so viel gelogen wie vor Wahlen. Und vor den Trauzeugen
Es ist alles gesagt. rauf und runter. Arbeit rauf. Steuern runter (FDP), Bildung hoch (SPD), Lohnnebenkosten runter (CDU), erneuerbare Energien rauf (Grüne) und Managergehälter runter (Linke). Kein Wort an dieser Stelle also mehr zum Wahlkampf. Nur so viel: Ich für meinen Teil werde einige Wochen nach der Wahl die Pistole ziehen und sie der Kanzlerin oder dem Kanzler auf die Brust setzen: „Hände hoch, Hosen runter“, werde ich sagen, „raus mit der Wahrheit: Ist jetzt etwas besser geworden oder nicht?“ Wenn nicht, dann: Abschuss.
„Abschuss“. Das hat vor ein paar Tagen ein Stuttgarter Sozialminister mit Blick auf George Bush gefordert. Name tut nichts zur Sache, denn Andreas Renner (CDU) kennt jenseits von Kornwestheim sowieso niemand. Aber als das „böse“ Wort vom „Abschuss“ publik wurde, das der Herr Minister in einem unbeobachtet geglaubten Moment in dem schwäbischen Dorf Gomaringen fallen ließ, da dachte man kurz: Nun passiert in diesem Wahlkampf doch noch etwas Ergreifendes, ein Minister wird wieder einmal gehen müssen, wie weiland Herta Däubler-Gmelin, die ihren Bush-Hitler-Vergleich seinerzeit gar nicht weit davon entfernt in Lustnau (!) in die Welt setzte. Im Fall Renner hat sich dann aber doch wieder alles beruhigt.
Denn irgendwie konnte der Herr Minister plausibel darlegen, dass die in Dialekt ausgesprochene Forderung nach einem Abschuss des amerikanischen Präsidenten gar nichts Schlimmes bedeutet.
Es war vielmehr eine freundschaftlich gemeinte, vorsichtige Kritik an der Amtsführung des US-Präsidenten – nur eben in deftiger Mundart eingefärbt. So, wie wenn ein Schwabe einem Nachbarn droht: „Dir schlag i d’ Laif a, dass de uf de Schtompa hoim krattla kascht!“ („Dir schlage ich die Beine ab, dass du nur noch auf den Stümpfen nach Hause kriechen kannst!“) auch nur bedeutet, man solle doch bitte sein Auto nicht direkt gegenüber der Garageneinfahrt parken. Es wird ja so viel missverstanden.
Selbst, ja vielleicht gerade besonders unter Liebenden.
„Ich liebe dich“ dürfte sogar zu den am meisten missverstandenen Sätzen überhaupt gehören. Man ist entspannt, gut gelaunt, hat ein Glas Rotwein getrunken und sagt diesen Satz so dahin – schon erwachsen daraus völlig falsche Erwartungen. Bis hin zur Hochzeit. Die Erwartungen werden dann nicht immer erfüllt, und schwupp, ist man wieder geschieden.
Was ich an ihr liebe, hat mich vor Jahren einmal eine Freundin gefragt, und ich habe lange nachgedacht: „Dass du mich nicht störst“, habe ich ihr schließlich geantwortet und es als höchsten Beweis meiner Zuneigung verstanden. Sie störte mich tatsächlich nicht, sie ließ mich sein, wie ich war. Sie mischte sich nicht in alles ein. Was kann man von einem Partner Schöneres behaupten? Aber zu dieser Erklärung kam es gar nicht mehr. Sie lief schreiend davon.
Ich habe seither Angst vor solchen Fragen. Ich selbst würde sie nie stellen, aus Furcht, angelogen zu werden.
Insofern war ich überrascht und alarmiert, als meine Frau vor ein paar Tagen fast beiläufig fragte, was mich an ihr hält. „Du bist die Schönste, du bist so intelligent und doch warmherzig, ja so einfühlsam und verständnisvoll und …“ – ich kann das nicht sagen. Ich bekomme es einfach nicht heraus: „Mit einer anderen wäre ich noch unglücklicher“, sagte ich und merkte sofort, dass ich besser meinen Mund gehalten hätte.
Muss man lügen? Wollen Frauen und Wähler überhaupt die Wahrheit wissen?
Eine „ehrliche Haut“, so urteilen wir manchmal über einen Menschen und meinen doch nur: er ist ein bisschen doof. War Rudolf Scharping nicht irgendwie ehrlich, aber eben doch unfähig? Arbeit rauf, Steuern runter und ich liebe dich. Das sind Sätze, die versteht jeder. Da muss man nicht darüber nachdenken. Damit gewinnt man Wahlen und erobert Frauenherzen. Jetzt bin ich doch wieder beim Wahlkampf gelandet.
Das wollte ich nicht.
Ehrlich.
Fragen zur Ehe? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany über GONZO