PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Ja, wo stehen sie denn?
Die beste Idee seit Jahren: Steinpilze suchen mit Hilfe von Google Earth
Es ist nicht schlimm, wenn einige Leser den Luftbild-Atlas im Internet nicht kennen. Ich kenne „Google Earth“ auch erst seit wenigen Wochen, als ein Freund mir erzählte, er hätte sich mein Wohnhaus im Internet aus der Luft angesehen und darauf erkannt, dass auf der Dachterrasse jemand ohne Badehose in der Sonne lag. Das war natürlich gelogen, aber dennoch habe ich sofort nachgegoogelt und war einigermaßen überrascht, wie stechend scharf in manchen Weltgegenden der Blick aus dem Weltraum hinunter auf den Bürgersteig reicht. Man sieht dort Menschen gehen, kann Autos im Stau bestaunen und ist endlich in der Lage, hinter die Mauern des Buckingham-Palasts zu schauen.
Am Tag der Satelliten-Aufnahme schien in London die Sonne und gegen 11 Uhr morgens (geschätzte Zeit anhand des Schattenwurfs) ist kein Mensch auf dem unendlich weiten Rasen hinter dem Palast zu sehen. Nicht einmal ein leerer Liegestuhl. Auf dem Tennisplatz im Park ist sie auch nicht zu finden. Wo sich die Queen an diesem Morgen aufhält, bleibt rätselhaft. Da echauffieren sich manche Menschen wegen Überwachungskameras auf dem Marktplatz von Ackerbürgerstadt, und dabei sind wir und die Queen von England längst im Visier von „Google Earth“.
Jedenfalls brachte mich die Entdeckung auf eine prima Idee: Steinpilze suchen mit Hilfe von Google Earth. Dieses Jahr ist dank des für das Pilzwachstum hervorragenden Augustwetters ein ausgesprochenes Pilzjahr. Man kann sozusagen mit der Sense in den Wald. Dort sieht es nämlich aus wie in Hermann Hesses Roman „Unterm Rad“ („ … Innen unter den Tannen stand ernst und schön und fremdartig der hohe, steile rote Fingerhut mit den silberwolligen breiten Wurzelblättern, dem starken Stengel und den hochaufgereiten, schönroten Kelchblüten. Daneben die vielerlei Pilze: der rote, leuchtende Fliegenschwamm, der fette, breite Steinpilz, der abenteuerliche Bocksbart, der rote, vielästige Korallenpilz; und der sonderbar farblose, kränklich feiste Fichtenspargel.“) Allein der leckere Steinpilz macht sich immer etwas rar, vielmehr ist von den vielen Waldrentnern, diesen senilen Bettflüchtern, die schon um sieben Uhr morgens das Unterholz durchstöbern, längst abgeerntet, wenn ich mich am Nachmittag mit meinem Körbchen allmählich aufmache.
Nur in jungen Fichtenschonungen, in die die Pilzrentner ihres Rückenleidens wegen nicht mehr so leicht in gebückter Haltung eindringen können, habe ich noch Chancen, unter den Zweigen der jungen Bäume fündig zu werden. Doch sind solche Schonungen in einem großen Waldgebiet nicht leicht zu finden. Jedenfalls nicht, wenn man im Wald steht und vor lauter Bäume eben diese jungen, noch niedrigen Schonungen nicht sieht. Ich also Google Earth eingeschaltet und den „Rammert“ mal aus der Luft betrachtet. Wald ist nicht Wald. Deutlich unterscheiden sich aus 540 Höhenmeter die helleren Laubholzflächen von den dunklen Flecken der Fichtenschonungen. Aha. An dieser Weggabelung links und nach etwa dreihundert Meter rechts halten. Ich markierte die Schonungen in eine Wanderkarte und machte mich gestern Nachmittag auf den Weg.
Sollte es Satelliten geben, mit deren Hilfe man nicht nur in die Wohnungen hineinschauen, sondern auch noch deren Gerüche registrieren kann, könnte man jetzt riechen, wie sich seit gestern Abend das Aroma getrockneter Steinpilze im Treppenhaus der Bahnhofstraße 26 ausbreitet, das sich von meinem Pilz-Trocknungs-Automaten über alle Stockwerke ergießt.
Doch mit der Freude vermischt sich auf einmal die Angst, ich könnte genau in jenem Moment die Fichtenschonung betreten haben, in der der Satellit sein Luftbild schoss. Dann sähe jeder neben jenem dunklen Waldfleck auch noch ganz deutlich das rote Körbchen in meiner Hand – und mein geheimes Steinpilzrevier wäre Milliarden von Internet-Nutzern auf einen Schlag bekannt. Nicht auszudenken, die Folgen.
Vielleicht bin ich doch gegen Überwachungskameras.
Auch etwas gesichtet?kolumne@taz.deMontag: Peter Unfried CHARTS