PETER UNFRIED über CHARTS : Doof wie Wowi
Pink Floyd, Beck’s und die ganz großen Themen: Dürfen wir Heidi Klum von der Bettkante Deutschlands stoßen?
Wenn die Nacht am tiefsten ist, sind die gerade handelsüblichen Partydebatten endlich angemessen zivilisiert und ästhetisch abgehandelt. Diesmal waren das 1. die Moral des Spendens, 2. die Frage, wie viele Dutschkestraßen das Land braucht, 3. Kinderkolumnen – ja oder nein, 4. die Debatte, wer wohl die kommende RAF-Ausstellung für sich und seine sinistren Zwecke werde vereinnahmen können. Irgendwann läuft dann aber plötzlich anständige Musik, sagen wir: Pink Floyd, „Comfortably Numb“.
Dann nimmt die Frequenz der Gänge zum Beck’s-Kasten zu. Und dann muss man auch schon höllisch aufpassen, dass man alles mitkriegt. Dann kommen die großen Themen. Thema 1 war im Raum, nachdem der erste Mensch einen Beitrag mit den Worten konterte: „Du bist doch doof wie Wowi.“
Letztlich kam es an diesem Sonntagmorgen in der Folge nicht zu einer Massenküchenschlägerei. Aber es war knapp. Ich weiß nicht, ob die Redewendung „doof wie Wowi“ bereits offiziell in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Es ist jedenfalls ein brutales Verdikt, das einer erst einmal verdauen muss. Was heißt das in der Folge von Klaus Wowereits fast schon „legendärem“ Fernsehauftritt in einem Quiz? Dass der dermaßen Beklagte genauso wenig schreiben kann oder weiß, wann der Zweite Weltkrieg war oder dass Punkt- vor Strichrechnung kommt, ganz wie der Regierende Bürgermeister von Berlin.
Letztlich könnte der Satz „Du bist doof wie Wowi“ also nichts anderes sein als der Ausschluss aus einigermaßen gebildeten Gruppen in Deutschland und die Relegation in die Gruppe derer, deren Informations- und Bildungsmedium Harald Schmidt mit dem Begriff „Unterschichtsfernsehen“ belegt hat – jenes Medium, in dem Wowereit seinen eigenen Abstieg offiziell verkündete.
Das klingt jetzt alles womöglich ein bisschen elitär, aber dahinter steht nicht die ästhetische Frage, wie man sich als Berliner mit so einem Bürgermeister fühlt. Tatsächlich steht dahinter eine viel größere Frage, die nämlich, ob es eigentlich ernsthaften Widerstand in der Gesellschaft geben kann gegen die ganz offenbar gemeinsame Agenda von bestimmten Medien, zumindest Teilen der Politik und ganz offenbar der kompletten Berliner SPD, den legasthenischen und bildungsfreien Menschen als stilbildende Gruppe in Deutschland zu manifestieren.
Das große Thema 2 entsprang einem eigentlich nur nebenbei geäußerten Satz: „Also, Heidi Klum würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ Das ist ja eine Ansicht, die in Deutschland konsensfähig zu sein scheint, bis tief in die grüne Stammwählerschaft hinein. Ich teile sie nicht. Nicht mehr. Unlängst sprach ich mit einem Philosophen. Über die Moral des Spendens, die RAF-Ausstellung, über Deutschland. Und irgendwann teilte er mir mit, dass Heidi Klum es auch nicht bringen würde.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich mich ununterbrochen mit Supermodels im Allgemeinen oder Klum im Besonderen beschäftige. Aber ich gebe zu: Ich will dieses Land verstehen. Und ist es nicht so, dass eine absolute Mehrheit von deutschen Männern gerne mal mit Heidi Klum „ausgehen würde“, wie man das ja immer so schön nennt. So fragte ich: Ist Heidi Klum nicht die Beste, die wir Deutsche haben? Nein, sagte der Philosoph, denn ihr fehle etwas Entscheidendes. Ich: Sie ist blond und hat Titten. Der Philosoph ignorierte diesen sachlich richtigen Einwand und sagte: Sie kennt keine Treue. Damit ist nicht der handelsübliche Treuebegriff gemeint, sondern selbstverständlich Treue im Sinn von Derrida. Heidi Klum fehlt demnach Treue zu etwas, das über sie selbst hinausgeht. Eine Idee. Wer nur an die eigene Wirksamkeit glaubt, kann keine Wirkung in anderen entfalten.
Ein Problem, das gerade grüne Spitzenpolitiker auch angeht, wie ich finde. Nach längeren Erwägungen legte ich Klum jedenfalls ad acta. Wir kamen dann zu dem Ergebnis, dass wir eigentlich beide gern mit Katrin Göring-Eckardt ausgehen würden. Er außerdem mit Linda Evangelista. Und ich mit Nina Hoss.
Fragen zu Heidi Klum? kolumne@taz.de MORGEN: Bernhard Pötter über KINDER