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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Wir Möchtegern-Revolutionäre

Warum so viele immer noch über „Die fetten Jahre sind vorbei“ reden. Und warum der BVB absteigen darf

1 FETTE JAHRE. Es war ein Interview mit einem Schauspieler, Anfang 40. Es ging um … ist ja hier egal was. Jedenfalls ging es irgendwann um das Ende von „Die fetten Jahre sind vorbei“. Drei Wanna-be-Revolutionäre Ende 20 entführen aus Dummheit einen alt- und reich- und also konservativ gewordenen 68er. Ob erstes Rendezvous oder letzte Geschäftsbesprechung: Darum ging es in den letzten Monaten immer irgendwann. „Sie sind entlassen. Aber bevor Sie gehen: Ist der Kapitalist in fette Jahre nicht irgendwie trotzdem ein Guter geblieben?“

Neulich ging ich eigens ins Stadion, um mal Ruhe zu haben. Konzentrierte mich auf das Abwehrverhalten des Heimteams nach ruhenden Bällen. Als mein Nebensitzer sagte: „Hat der alte Hardenberg ihnen das Boot überlassen, was meinst du?“ Ja, die guten Leute kommen über den aktuellen Film von Hans Weingartner nicht so einfach weg wie über Bush, Flutkatastrophen und so was. Genauer: Wir guten Leute kommen darüber nicht weg.

Ich kenne keinen anderen Film, der die halb gebildete, halb gut situierte, mit Nutella im Arsch geborene Mittelschicht von heute so nachhaltig beschäftigt hat. Im gegenwärtigen Klima des Abrechnungsbedürfnisses der einen mit 1968 im Zuge einer generellen Backlash-Großattacke und der daraus leider notwendigen Verteidigung von 1968 gibt es diverse Positionen. Die eine: Auch dieser 68er ist eine Drecksau geworden. Die andere: Alte Männer sind selten angenehm, aber manche saturierte Exrevolutionäre bewahren sich immerhin einen utopischen Kern. Am gefährlichsten für die liebe Seele ist die dritte: Dieser 68er war ein Schwachkopf wie alle 68er und ist nun Gott sei Dank vernünftig geworden. Die jungen Revolutionäre aber sind – Gustav Seibt hat in der SZ darauf hingewiesen – die größten Schwachköpfe seit Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Darauf einzugehen braucht mehr Raum. Was ich sagen will: Das Problem der Mittelalten bei der Beschäftigung mit dem Film entspricht dem Problem bei der Beschäftigung mit unserem Leben.

Erstens: Wir denken zu angestrengt und zu lange über den alten 68er nach. Zweitens: Wir laden den Film und uns emphatisch auf, indem wir ihn letztlich romantisierend aus Sicht jener sehen, die wir nicht sind: der jungen, emphatischen Ahnungs- und Besitzlosen. Wozu? Um ein restrevolutionäres Gefühl als Teil eines Lebens zu beschwören, in dem es real darum geht, wem man das Geld wegnimmt, das wir für unsere Kitas brauchen. Let’s face it: Wir 40-Jährige spielen auch in diesem Film keine Rolle. Antworten und Positionen müssen wir anderswo suchen. Falls wir welche haben wollen.

2 BUNDESLIGA. An diesem Wochenende wurde ungefähr eine Million Mal behauptet, ein Traditionsverein wie die Borussia Dortmund GmbH KGaA dürfe nicht aus der Fußball-Bundesliga verschwinden. Bei aller Sympathie für den Kapitalismus und Milliarden leidender Anhänger – das ist falsch.

Zumindest, wenn man voraussetzt, man agiere auf der Grundlage verbindlicher Wertvorstellungen unserer Gesellschaft und gemeinsamer Geschäftsgrundlagen. Sollte das so sein, darf ein Unternehmen, das sich durch Hasardeurtum jahrelang einen Wettbewerbsvorteil erschlichen hat, nicht dafür belohnt werden. Indem man das Weiterwurschteln ermöglicht auf der Basis romantischer Verklärung oder eines Plebiszits der Herzen. Schon gar nicht, indem sich wie in Rheinland-Pfalz die Politik (also die SPD) einschaltet. Völlig absurd wäre eine „Solidaraktion“ des deutschen Fußballs.

All das hieße ja auch, dass ein seit Jahren seriös mit kleinem Geld wirtschaftender Klub wie der SC Freiburg absteigen muss – weil er den „positiven Cashflow“ nicht ins Jahr 2017 reinfantasiert, sondern nur so viel Geld in die Qualität der Spieler investiert, wie er hat. Pervers? Ja. Also ganz und gar nicht auszuschließen.

3 LIEBLINGSMENSCH der Woche: Marianne. Für ihren Satz: „Es wird immer schöner.“ (Über ihre Ehe mit Michael. Bei Maischberger.)

Fragen zur Revolution? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER