PETER UNFRIED über CHARTS : Warum bald die Ampel regiert
Das Wahltagebuch (VIII): Subtil entscheidet der Wähler, Schröder im Amt zu belassen
Eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen ist nicht der Weisheit letzter Schluss, okay. Das ist spätestens klar, seit Sigmar Gabriel dafür ist. Außerdem: Hat Schröder nicht hingeschmissen? Einerseits. Andererseits ist er ein Sponti. Deshalb zählt er Sonntagabend die Stimmen zusammen – und sagt : „Was meinst du, Gerd? Hat das Land doch noch ein, zwei Jahre Schröder verdient? Was soll’s!“ Dann lässt er Joschka holen und sie machen die Ampel.
Man kann selbstredend argumentieren: Sollte sich im Land am Ende doch keine schwarz-gelbe Mehrheit finden, macht man halt eine große Koalition. Damit darf aber weder dieser Text aufhören – noch das Nachdenken. Was sagen denn die letzten Umfragen? Die Leute wollen, dass die Union stärkste Fraktion wird. Aber nicht, dass Merkel Kanzlerin wird – auch nicht einer großen Koalition. Sie wollen, dass Schröder weiterregiert. Aber nicht, dass die SPD die Wahl gewinnt. Und schon gar nicht, dass Rot-Grün die Wahl gewinnt.
Kurzum: Die Leute sind wild entschlossen. Alles muss sich verändern. Bis es wieder ist, wie es war. Erst stand Merkel für den Wunsch nach Veränderung, dann pieksten die anderen (speziell auch in der Union) an ihrem Professor Kirchhof rum – und dann fiel nicht Merkel in sich zusammen wie ein Soufflé. Nein, sie steht wie ein Mann. Aber der grade noch so wechselwillige Souverän kriegt’s mit der Angst angesichts einer anscheinend total deregulierten Zukunft einerseits, mit völlig neu regulierter Steuerfreiheit und Küchenarbeit andererseits. Good job, Joschka: Kirchhof steht da wie ein armer Irrer. Fast wie einst Berti. Der sprach auch immer von einem Konzept in der Schublade. Die anderen sagten („Ja gut, der Berti …“), seine Fachkompetenz sei selbstverständlich unbestritten.
Ohne schwarz-gelbe Mehrheit, ohne die SPD als stärkste Partei und mit Linkspartei stehen wir vor der historischen Situation, das parlamentarische Spiel neu denken zu müssen. (Oder dürfen?) Es gibt keine einfachen Mehrheiten in diesem Land. Macht was draus. Vielleicht ist der Wähler schlicht weiter als die Parteien, die in diesem Wahlkampf in den bekannten Lagern argumentiert haben. Vielleicht will er sagen: Schröder, du wolltest uns veralbern, indem du dir einen persönlichen Ausgang hinbiegst mit dem Vorwand, die rot-grüne Mehrheit ausbauen zu müssen. Zur Läuterung geben wir dir einen anderen Auftrag: Du sollst Kanzler bleiben – aber ohne rot-grüne Mehrheit. Sieh zu, wie du das hinkriegst.
So instruiert ruft Schröder Gysi an. Sagt: Schaff Lafontaine nach Elba. Ich bilde eine Minderheitenregierung, du tolerierst. Damit sind alle Gesichter gewahrt. Ja, viel besser: Die Linkspartei braucht nicht die SPD, um in der großen Koalition das „Schlimmste“ zu verhindern; sie verhindert es selbst. Mit der Drohung einer von links regulierten Minderheitsregierung ruft Schröder dann Gerhardt an. Mensch, die FDP als schwächste Oppositionspartei? Die würde doch völlig untergehen. Übrigens: Wie alt sind Sie mittlerweile, Herr Gerhardt, Herr Solms? Gerhardt rechnet nach, und bald darauf betreibt Westerwelle putzmuntere Opposition von Elba aus, womit für alle Ampel-Partner viel gewonnen wäre. Schily muss mit, um Platz für Gerhardt (Bürgerrechte!) zu schaffen. Die FDP würde zusätzlich mit Turbo-Engagement das „Schlimmste“ bei Rot-Grün verhindern. Zu Fischer sagt Schröder, selbstverständlich mache Rot-Grün volle Pulle weiter – vor allem außenpolitisch. Auch die Grünen würden das „Schlimmste“ verhindern – statt es nur in der Opposition zu beklagen.
Bitte: Der Wähler will es. Er wird Gründe haben. Er könnte nach Merkels Ende nächstes Mal tatsächlich die Union ranlassen. Sagen Sie nächste Woche nicht, Sie seien überrascht.
Fragen zur Ampel? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE