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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Auch ich duze Arschlöcher

Die große Koalition gibt sich gegenseitig Zigarillos aus – was bedeutet das?

Dieses Lied ist für die / die, die nicht wissen wie „Für die nicht wissen wie“, Erdmöbel (2005). Großartig!

Eines Tages, mitten in den Koalitionsverhandlungen, war Müntes Packung Zigarillos leer. Das war aber keine Intrige der Linken. Vermutlich. So was kommt vor. Diesmal freilich gab er nicht seinen sofortigen Rückzug vom Raucherdasein bekannt, wie es seine Pflicht als SPD-Vorsitzender und/oder Vizekanzler gewesen wäre. Im Gegenteil, er schickte seinen Jockel aus (Wasserhövel?), um bei Herrn Pofalla von der CDU anfragen zu lassen, ob der noch welche hätte. Münte und Herr Pofalla rauchen bekanntlich dieselbe Sorte Zigarillos. Und da ließ Herr Pofalla doch tatsächlich dem Münte nicht bloß ein Zigarillo rüberbringen, sondern gleich eine ganze Schachtel, stellen Sie sich das mal vor!

Und wie das so geht: Später hatte der Pofalla nichts mehr zu rauchen. Da gab ihm Münte die Schachtel. Das aber sah der Kanzler. Und da runzelte er die Augenbrauen und sagte in seiner jovial-lustig-vorwurfsvollen Art zum Münte: „Jetzt gibst du den Schwarzen schon Zigarren.“

Da musste der Münte kichern. Und antwortete: „Hahaha, Gerd, Mensch, das sind doch seine.“

Die Geschichte stand gestern in der FAS („Zigarillos vom Gegner“). Was will, was kann sie uns sagen?

1. Sie ist ein Beweis dafür, dass die politische Berichterstattung in Deutschland nach der Krise der letzten Monate oder Jahrzehnte eine gnadenlose Renaissance erlebt.

2. Sie zeigt, dass der Kanzler immer noch nichts kapiert.

3. Sie zeigt, dass dagegen die kältesten neoliberalen Sanierer in der Union verstanden haben, dass ihr Appell an Müntes Eigenverantwortung abgewählt ist.

4. Sie zeigt die unerträgliche Arroganz der politischen Klasse, die mit ganzen Päckchen um sich schmeißt, während der Bürger sich die Selbstgedrehten vom Schulausflugsgeld seiner Kinder absparen muss.

5. Sie zeigt, wie problematisch Münteferings Rauchstil ist – und wie gering sein Rückhalt in der SPD in dieser Sache, dass er sich seine Zigarillos von der CDU erbetteln muss. Oder hatte Müntefering den Seinen einfach nicht klar genug gesagt, wie wichtig es ihm war, dass er immer was zu rauchen hat?

6. Es ist bedauerlich, dass Ute Vogt sich zu dem Vorfall bisher nicht geäußert hat, denn dann wüsste man auch nicht mehr.

7. Ist Pofalla nicht der Typ, der auch von Harald Schmidt verarscht wird?

Nun aber mal „Haha, Spaß beiseite“, wie der designierte Wirtschaftsminister bei Christiansen zu sagen pflegt. (Selbstverständlich ohne Wirkung.) Die Koalitionsverhandlungen sind also so verlaufen, dass Müntefering und Pofalla sich „am Ende sogar duzen“ (FAS) – und es eine Pressekonferenz gab, bei der selbst Merkel mal feixte. Glückwunsch zu Letzterem, das ist wirklich eine Leistung für sich, die auch das Potenzial von Platzeck andeutet. Was Ersteres betrifft, so duzen viele Politiker sich jenseits der Parteizugehörigkeit. Und: Auch ich duze mich seit Jahren mit Arschlöchern bzw. die sich mit mir Arschloch, ohne dass damit inhaltlich das Geringste vorankäme.

Wenn es irgendetwas gibt, was diese Zigarillo-Schnurre nahe legt, die sich in der Scheinrealität eines Konferenzraumes vollzog: dass diese mittelgroße Koalition eine des „Do ut des“ sein wird beziehungsweise schon ist – gib du mir was, dann geb ich dir was. Es wäre das nahe liegende, selbstreferenzielle Prinzip zweier Wahlverlierer, die vordergründig ein gemeinsames Ziel haben (mehr Arbeit, weniger Sozialleistungen), aber in vielem keinen gemeinsamen Weg und gar keine Philosophie, das Wandern dahin betreffend, weder in der Koalition noch innerhalb der einzelnen Koalitionsparteien und der angeschlossenen Lobbygruppen. Man nehme nur die unvereinbaren Positionen in der Gesundheitsfrage: Hü oder hott?

Der Kompromiss heißt hütt. Und bringt dieses Land definitiv nicht voran. Aber bitte, wir haben das gewählt: Vier Jahre Rauchpause.

Fragen zu Pofalla? kolumne@taz.de MORGEN: Bernhard Pötter über KINDER