piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Goethe und Günther Jauch

Eine Karrierefrau will mich testen. Ich sage: „Gib mir vier Möglichkeiten: a, b, c oder d.“ So kenne ich das

Auf dem Display meines stummgeschalteten Telefons blinkten die berühmten zwei Worte: Die Macht.

„Rat mal, wo ich bin.“

Richtig, die war ja gar nicht da. Geschäftsreise oder so. Auf dem Sofa saßen nur die Radikalvegetarier Penelope und Adorno, guckten „Topmodel“ und fraßen sauteure Stapelchips in sich rein. Der rosa Teller mit den Biogurken war nicht angerührt.

„Hm“, sagte ich zur Macht, „vielleicht in einem Hotel?“

„Ja, natürlich, aber in was für einem?“ Ich hatte keine Ahnung.

„Gib mir vier Möglichkeiten: a, b, c oder d.“ Immer wenn ich den Bildungsgrad der Kinder testen wollte und so was sagte wie: „Was meint der Begriff Big Apple?“ Dann riefen die: „Gib uns vier Möglichkeiten.“

Also führten wir das Günther-Jauch-Prinzip ein. Inzwischen sage ich automatisch: „Ist das a) ein großer Apfel, b) ein kleiner Apfel, c) ein riesiges Notebook oder d) New York?“ Adorno sagt dann: „Den kleinen Apfel schließe ich aus.“

Wenn ich mal wirklich eine Bildungslücke habe und sage: „Aus welcher Stadt kam noch mal die PR-Managerin Anja, die vom RTL-Bachelor auserwählt wurde?“ Dann sagen die: „Googel’s doch.“ Na, das war jetzt ein schlechtes Beispiel. Da sagen sie: „Aus Weingarten bei Karlsruhe, das weiß doch jeder.“ Wenn ich aber sage: „Wie lautet die sogenannte Gretchenfrage?“ Dann komme ich gar nicht zu den vier Möglichkeiten, weil Adorno sofort sagt: „Pffff. Goethe.“

Es beunruhigt die Macht, dass Adorno Anjas Wohnort kennt, aber Goethe dermaßen ablehnt. Seither kämpft sie gegen flache Fernsehunterhaltung und lehnt das Günther-Jauch-Prinzip als unterkomplex ab.

Daher ging sie auf meine Bitte auch gar nicht ein, sondern sagte mit einem Glucksen, das sie sich für besondere Momente vorbehält: „Ich bin in der Ibis-Suite.“ Sie hat für die Kinder reduziert. Manchmal fällt ihr ein, dass sie auch „Karriere“ hätte machen können. „Ibis-Suite, aha“, sagte ich, „ist das nicht ein Widerspruch in sich?“

„Du, die haben jetzt große Eckzimmer. Vier Fenster, Vorraum, tolles Bad. Oberster Stock.“

„Wäre ich nicht drauf gekommen, dass Ibis Suiten hat.“

„Na ja“, sagte die Macht: „Das kriegen Normalsterbliche natürlich nicht.“ Mich hatte mein Arbeitgeber da jedenfalls noch nicht einquartiert.

„Du, der Vorraum hat sogar Parkett. Und der Schreibtisch ist sechs Meter lang.“

„Sechs Meter?“ Ich hörte, wie sie den Schreibtisch ablief.

„Na, gut, fünf Meter. Und auf dem Bett lag ein handgeschriebener Zettel, wie sehr sich der Direktor freut, dass ich da bin.“

„Na, da bist du ja ganz oben angekommen.“ Selbst das steigerte ihre Verzückung noch.

„Von wegen“, sagte sie. „Nächstes Mal bin ich sogar im Swiss

Hotel. Weiß du, was du da machst?“

„Noch nicht.“

„Da badest du in einer freistehenden Badewanne mit Blick auf die Frauenkirche.“

„Ach, du bist in Dresden?“, sagte ich.

Stille am anderen Ende. Jetzt war sie beleidigt.

Der Autor ist Chefreporter der taz Foto: Anja Weber