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Archiv-Artikel

PENDELVERKEHR! ERSATZVERKEHR! UND ALLE DURCHSAGEN NUR AUF DEUTSCH: WILLKOMMEN IN BERLIN, LIEBE TOURISTEN! Die durch die Hölle fahren

LIEBLING DER MASSEN

Nachdem wir zunächst ewig auf den Bus zur U-Bahn gewartet haben, stehen wir in Rudow endlich auf dem Bahnsteig der U7: Gut hundert, meist ausländische Reisende, die mit Sack und Pack vom Flughafen Schönefeld hierhergekommen sind. Die Anzeige zeigt die nächste Bahn Richtung Spandau in siebzehn Minuten an. Dazu noch Pendelverkehr zwischen Rudow und Britz-Süd.

Fremder, Arschloch

Da freut sich gewiss der Ankömmling: „Aha – Britz-Süd! Thank you very much, tutto claro, viva la información! Et mais, oui, what the fuck is ‚Penisverkehr‘?“ Nein, Fremder, Mann, Idiot – das heißt „Pendelverkehr“. Ein Purgatorium, das parareligiöse Instanzen wie die BVG geschaffen haben, um die Menschen mürbe und demütig zu machen. Doch der Pendelverkehr ist nur die Vorhölle. Denn, Fremder, Arschloch, du gucken! Siehst du darunter auf dem Display dieses klobige Wort in Leuchtschrift durchlaufen? Du nix verstehen, Fremder, Trottel, kein Wunder, das steht – wie alles hier – ja nur auf Deutsch da. Aber ich helfe dir, ich spreche es dir vor: E-R-S-A-T-Z-V-E-R-K-E-H-R.

Ja, Fremder, Depp, du hast recht, das klingt in der Tat genauso fies wie es aussieht. Nicht umsonst erinnert es dich an die rohen Laute der bösen Wehrmachtssoldaten aus den Kriegsfilmen, die du zu Hause immer gesehen hast: Achtung, Schweinhund! Hände hoch! Errsatzverrkehrr! Ersatzverkehr ist die Hölle.

Ebendies versuche ich den Leuten zu erklären, die in Britz-Süd von übellaunigen Kommandos aus dem Zug gescheucht werden. Ich sehe die Unruhe in ihren Augen flackern. Keiner weiß Bescheid, auch die Durchsagen sind ausschließlich auf Deutsch. „Britz-Süd“, sage ich, „Britz South! No problem, amigos, don’t panic, dawai, dawai!“

Oben am Ausgang steht dann tatsächlich so eine Art Anti-Konflikt-Team von der BVG in orangefarbenen Warnwesten. Die Mitarbeiter scherzen und necken einander, sie haben Zeit, denn derweil unten im U-Bahnhof verzweifelte Touristen den sprachunkundigen Fahrer der U-Bahn so lange und heftig bestürmen, bis er in seinen rettenden Führerstand flüchtet, gibt es für sie hier oben nichts zu tun.

Oder vielleicht doch? Während der Ersatzverkehrsbus aus der Gegenrichtung gerade direkt vorm Eingang anlegt, schweifen die suchenden Augen lange Zeit ins Leere, bis sie schließlich fast hinter dem Horizont die Busse in die gewünschte Richtung ausmachen. Es muss ein absurder Anblick für die wenigen Bewohner der vermutlich nicht nur zu dieser späten Uhrzeit gottverlassenen Gegend sein, wie sich ein nicht enden wollender Strom von Menschen mit schwerem Gepäck die sinnlos breite Verkehrsader, die hier das Nichts durchschneidet, entlangschleppt.

Verschissene Vororte

Als ich den Bus am Ende erreiche, muss ich mich schwer zusammenreißen, um dem Fahrer kein „Weiter weg ging’s wohl nicht“ entgegenzumaulen. Er kann nichts dafür. An anderer, höherer Stelle hat man entschieden, den Fremden das Eindringen in die geliebte Heimatstadt so schwer wie möglich zu machen. Die Funktion, die früher die Stadtmauer innehatte, nimmt heute der Ersatzverkehr ein, das siedende Pech ist der Pendelverkehr.

Komischerweise bin ich der einzige, der flucht. Was für Zustände müssen erst in den Ländern herrschen, wo all diese Leute herkommen, dass sie das alles so klaglos hinnehmen. Ich an ihrer Stelle würde es ja dermaßen bizarr, wenn nicht beängstigend finden: In der zweitgrößten Metropole der EU zu landen, um dann auf einer Art Regionalflugplatz übers Rollfeld zu laufen, später stundenlang durch völlig verschissene Vororte gegurkt zu werden, müde von der Reise und, da die ohnehin kargen Anweisungen ausschließlich in einem an Hundegebell gemahnenden Kauderwelsch erfolgen, nicht zu wissen, wohin und warum.

Als ich endlich doch noch zu Hause ankomme, hat die Fahrt doppelt so lange gedauert wie der Flug.