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■ PDS und Rot-Grün – Die Duldung als ChanceVon wegen „Linksblock“!

Vor einem halben Jahr noch galt der Wiedereinzug der PDS in den Bundestag als ausgesprochen ungewiß. Heute gibt es kaum noch jemanden, der daran zweifelt, daß die PDS auch dem neuen Parlament angehören wird. Der PDS ist es gelungen, sich trotz aller Unkenrufe, sie sei ein „Auslaufmodell“, links von der SPD im bundesdeutschen Parteiensystem zu etablieren.

Dort erfüllt sie heute eine doppelte Funktion: Sie ist sowohl ostdeutsche Interessenvertretung angesichts der diskriminierenden und ausgrenzenden Folgen des „Anschlusses“ der DDR. Und sie tritt gleichzeitig für radikale demokratische, ökologische, feministische und soziale Forderungen ein. Es ist klar, daß die Vereinigung beider Funktionen in einer Partei nicht ohne Probleme ist. Ostdeutsche Mieter, die gegen das Altschuldenhilfegesetz opponieren, müssen eben noch lange nicht offene Grenzen für Flüchtlinge befürworten. Daß es der PDS gelingt, diese unterschiedlichen Anliegen zu integrieren, ohne ihre radikalen Forderungen aufzugeben, hat wesentlich – allerdings nicht ausschließlich – damit zu tun, daß sie in Ostdeutschland als einzige wirkliche Oppositionspartei erscheint.

Mit der überraschenden Wende von Magdeburg hat die SPD die eigene Selbstblockade durchbrochen, die auf dem Tabu gründete, die PDS dürfe auf keinen Fall Einfluß auf Regierungsmehrheiten und Regierungsbildung bekommen. Mit der Schlüsselrolle der PDS bei der Bildung der rot-grünen Minderheitsregierung wurde der auf die Disziplinierung der Wählerschaft zielende rot-grüne Slogan „Wer PDS wählt, stützt Kohl“ in der Praxis widerlegt: Es ist möglich, mit der PDS eine linke Oppositionspartei zu wählen und damit zugleich die Ablösung der Konservativen durch Rot-Grün zu ermöglichen.

Doch mit diesem neuen Einfluß steht die PDS zugleich vor einer Reihe für sie unbekannter Probleme. Sie wird zeigen müssen, daß ihre Opposition mehr war und ist als Mangel an Gelegenheit. Denn mit Magdeburg änderte auch die SPD ihre Methode: Die erwiesenermaßen uneffektive kompromißlose Ausgrenzung der PDS wird nun durch die versuchte Einbindung ins Ritual des parlamentarischen Kompromisses und in die Verantwortung für Regierungshandeln ersetzt. Gerhard Schröder und Joschka Fischer forderten gar schon die Einbeziehung der PDS in Koalitionsregierungen, um sie den (vermeintlichen oder wirklichen) Sachzwängen und „Grenzen des Machbaren“ im Regierungshandeln auszusetzen. Dies sei der effektivste Weg, um so ihren angeblichen „Linkspopulismus“ zu „entzaubern“.

Soweit sind die Dinge allerdings noch nicht gediehen. Noch hat der Tanker SPD seine volle Manövrierfähigkeit gegenüber der PDS nicht erreicht. Noch muß die Sozialdemokratie auf demonstrativer Distanz zur PDS bestehen – siehe Höppners hartnäckige Weigerung, Verhandlungen über eine Tolerierung aufzunehmen. Zu lange hat die SPD selbst an dem Bild mitgestrickt, daß die PDS des Teufels ist, als daß diese über Nacht zum freudig begrüßten Verhandlungspartner mit dem Ziel einer Regierungsbildung werden könnte.

Aus diesem Dilemma der SPD – einerseits auf die Duldung der PDS angewiesen zu sein, andererseits kein festes Bündnis mit ihr eingehen zu können – ist in Magdeburg ein für bundesdeutsche Verhältnisse neues Modell entstanden. Anders etwa als bei der Tolerierung der hessischen SPD-Regierung 1984 durch die Grünen existiert keine Vereinbarung über die künftige Regierungspolitik zwischen den „Tolerierungspartnern“. Es handelt sich also um eine wirkliche Minderheitsregierung und eben nicht um eine „Linksfront“, wie die CDU zu suggerieren versucht. Die parlamentarischen Mehrheiten für die Regierungsvorhaben werden jetzt nicht nur innerhalb des Regierungslagers organisiert und mittels Koalitions- und Fraktionsdisziplin durchgesetzt, sondern müssen als wechselnde Mehrheiten in jeder Einzelfrage auch links oder rechts des Regierungslagers gesucht werden.

Indem die SPD Distanz zur PDS halten muß und kein Regierungsbündnis geschlossen wurde, ermöglicht sie es der PDS, weitgehend ihre Unabhängigkeit als Oppositionspartei zu wahren. Im Rahmen einer Politik der wechselnden Mehrheiten kann die PDS deutlich machen, daß sie allen auch noch so bescheidenen Reformschritten zur Mehrheit verhelfen wird, ohne durch Regierungsloyalitäten daran gehindert zu sein, eigenständige, weitergehende Forderungen und Anträge parlamentarisch und außerparlamentarisch zu vertreten. Gleichzeitig wird der SPD die Möglichkeit eröffnet, sich von den in ihren Augen „unrealistischen“ und „populistischen“ Forderungen der PDS abzusetzen. Sie kann zeigen, daß sie eben keine gemeinsame Sache mit der PDS macht, und so ihren rechten Rand beruhigen.

Die PDS ist gut beraten, alles zu tun, daß das Magdeburger Modell reüssiert und von einer „Verlegenheitslösung“ zu einer gesellschaftlich akzeptierten Variante wird. Weitergehende Positionen, wie sie in den noch ganz am Anfang stehenden PDS-Diskussionen vereinzelt schon aufgetaucht sind, würden nur schlechtere Resultate bringen – handelt es sich um ein „Reformbündnis“, Koalitionen oder aber darum, die Duldung einer sozialdemokratischen Regierung an einen „Essentialkatalog“ zu koppeln. Rot-Grün verkörpert heute kein gesellschaftliches Reformprojekt. So kommen die Koalitionsvereinbarungen in Sachsen-Anhalt – wie Mathias Geis in der taz vom 18. 7. richtig feststellte – in der Wirtschaftspolitik der CDU weit entgegen und vertrösten in der Umweltpolitik die Grünen mit vagen Absichtserklärungen. Es gibt eben keine gesellschaftliche Mehrheit für eine Regierungspolitik, in der wesentliche, über sozialdemokratische Politik hinausgehende Forderungen der PDS oder der Grünen umgesetzt werden können.

Da jedoch die PDS-Wählerschaft zumeist einer CDU- die SPD-geführte Regierung vorzieht, kann die PDS eine Ablösung der CDU nicht verweigern. Wird aber die Wahl einer rot-grünen Regierung an ein gemeinsam verhandeltes Regierungsprogramm geknüpft, können derartige Verhandlungen nur in der Unterordnung der PDS unter sozialdemokratische Regierungspolitik enden. Warum sollte die PDS jenen Integrationsprozeß der Grünen von der gesellschaftlichen Opposition zur Regierungspartei im Wartestand wiederholen?

Die Zeichen, daß dem nicht so wird, stehen im Moment gar nicht schlecht. Die PDS wird wohl bei ihrem Kurs bleiben, sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierungen gegen rechts zu stützen, ohne mit diesen eine programmatische Allianz und ein Stillhalteabkommen im Rahmen eines „Linksblocks“ einzugehen. Dann wird es Sache von Rudolf Scharping und Ludger Volmer sein, nach dem 16. Oktober zu erklären, warum in Bonn nicht gehen soll, was in Sachsen-Anhalt funktioniert. Harald Wolf

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