PARTEIENFORSCHER ÜBER GRÜNE: "Im Ankündigen sind sie groß"
Ein Prozentpunkt Vorsprung ist irrelevant, sagt Gero Neugebauer. Der Politologe glaubt nicht, dass Renate Künast als Spitzenkandidatin antreten wird.
taz: Herr Neugebauer, kennen Sie die neue Forsa-Umfrage, in der die Grünen die SPD überholt haben?
Gero Neugebauer: 27 zu 26?
Richtig.
Jahrgang 1941, lehrt Politikwissenschaft an der Freien Universität. Einer seiner Schwerpunkte ist die Parteienforschung.
Statistisch ist das vollkommen irrelevant.
Bei den Grünen knallen aber schon die Sektkorken.
Ein Unterschied von einem Prozentpunkt signalisiert noch keinen richtigen Vorsprung. Das kann davon abhängen, wie gefragt und wie ausgewertet worden ist. Aber symbolisch gesehen hat das natürlich Bedeutung.
Die Grünen sind schon seit geraumer Zeit im Aufwind.
Da kommen mehrere Dinge zusammen. Die Grünen haben eher Antworten, die den Wünschen der Befragten näher kommen.
Zum Beispiel?
Nehmen wir den Bereich Bildung. Das Thema ist in Berlin ja sehr wichtig. Oder auch der Ausstieg aus der Atomenergie. Da profitieren die Grünen in Berlin von der gesamtdeutschen Diskussion. Die SPD hat da ja nicht so ganz saubere Positionen. Der Parteivorsitzende kann sich auch immer noch Kohlekraftwerke vorstellen. In den neuen Umfragewerten drückt sich auch aus, dass Regierungsparteien bei Umfragen zwischen den Wahlen eher schlechter abschneiden. Als Opposition hat man es da leichter.
Verhält es sich bei den Grünen nicht so wie mit der Spekulationsblase, die immer größer wird und dann platzt?
Das ist ein schönes Bild. Die Grünen sind großartig, was Ankündigungspolitik betrifft. Allein das Spielchen: Kommt sie, kommt sie nicht, so wie Jack of the Box.
Sie meinen Renate Künast.
Ja. Dabei kann man sich Frau Künast aufgrund ihrer politischen Performance kaum vorstellen als jemand, der eine rot-grün-rote Regierungskoalition abbilden könnte.
Derzeit würde es auch für Rot-Grün reichen. Glauben Sie denn, dass Renate Künast kommt?
Ich glaube nicht, dass Frau Künast antritt.
Das müssen Sie begründen.
Frau Künast hat ihre bundespolitischen Perspektiven noch nicht ausgelotet.
Schwingt in den guten Umfrageergebnissen der Grünen ein Künast-Bonus mit, weil die Berliner davon ausgehen, dass sie als Spitzenkandidatin im Herbst 2011 gegen Klaus Wowereit antritt?
Dazu kann ich nichts sagen. Wir wissen ja nicht, wie Forsa gefragt hat.
Werden die Grünen noch weiter zulegen?
Die Situation der Grünen in Berlin ist eine besondere. Sie repräsentieren hier einen bestimmten Teil dessen, was man Bürgertum nennt. Ein Bürgertum, das möglicherweise von seinem sozialen Status und Bildungsstand her auch CDU oder FDP wählen könnte. Es hat aber eine andere Werteorientierung und fühlt sich von diesen Parteien nicht repräsentiert. Und auch nicht von der Sozialdemokratie.
Damit haben Sie aber nicht die Frage beantwortet.
Wunder sind immer möglich. Wahrscheinlich ist es nicht. Das Potenzial der Grünen scheint mir zurzeit in Berlin überbewertet zu sein. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!