Outsourcing im Bundestag: Steuergelder für Gesetz-Ghostwriter
Während der großen Koalition beauftragten Ministerien eifrig externe Juristen, Gesetzestexte zu schreiben. Sehr aktiv: der heutige SPD-Chef Sigmar Gabriel.
BERLIN taz | Die Aufregung im Bundestagswahlkampf war groß: Der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte die Anwaltskanzlei Linklaters damit beauftragt, einen Gesetzentwurf zur Sanierung angeschlagener Banken zu formulieren. Die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast sagte, für sie sei das ein Fall für den Rechnungshof: "Ich will wissen, wie viel Steuergeld Guttenberg für diesen Entwurf gezahlt hat."
Auch die damals amtierende SPD-Justizministerin Brigitte Zypries fand es "unverantwortlich, eine große Wirtschaftskanzlei zu beauftragen, statt den vorhandenen Sachverstand innerhalb der Bundesregierung zu nutzen".
FDP-Mann Dirk Niebel sagte: "Man fragt sich zwangsläufig, was eigentlich der ganze fachkundige Ministeriumsapparat macht, wenn Gesetzestexte außerhalb erarbeitet werden."
Ecologic Institut GmbH: Das Unternehmen leistete während der großen Koalition "juristische und fachliche Unterstützung" beim Emissionshandelsrecht, beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz, bei den Rechtsgrundlagen für die Förderung erneuerbarer Energien und der Biogaseinspeisung, beim Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Kohlendioxidspeicherung von Kraftwerken (CCS) und des fünften Buchs des Umweltgesetzbuches. Das Honorar dafür: 1.807.356 Euro.
Rechtsanwaltskanzlei Hölters & Elsing: Die Kanzlei leistete "ergänzende Beratung im Rahmen der Erarbeitung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes" und erhielt dafür 1.088.591 Euro.
Adelphi Consult GmbH: Das Unternehmen arbeitete bei der "Koordination der Einzelgesetze zur Neuordnung des Umweltrechts" mit sowie an dem Entwurf für das "Gesetz zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit". Es unterstützte die Regierung auch bei dem Entwurf für ein Umweltgesetzbuch und erhielt insgesamt 660.000 Euro.
Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH: Beim Staatsvertrag mit Dänemark zur 19 Kilometer langen Brücke über den Fehmarnbelt erhielt die Kanzlei 645.000 Euro für "rechtliche Begleitung zum Abschluss des Staatsvertrages" und zur "rechtlichen Begleitung der parlamentarischen Behandlung".
Linklaters Limited Liability Partnership: Die Kanzlei schrieb für das Wirtschaftsministerium einen Entwurf für ein Gesetz zur Bankensanierung und erhielt dafür mehreren hunderttausend Euro - die genaue Summe hat das Wirtschaftsministerium zur geheimen Verschlusssache erklärt.
Die Linksfraktion wollte es genau wissen und verlangte eine detaillierte Auflistung: Welche Ministerien haben sich in welchen Jahren bei der Formulierung von Gesetzen oder Verordnungen von Kanzleien oder Unternehmen helfen lassen?
Nach monatelangem Zögern hat die Bundesregierung die Antwort (PDF) geschickt. Sie zeigt: Viel häufiger als Guttenberg setzten die Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) auf Outsourcing bei der Gesetzgebung.
Unter dem CDU-Kanzler Helmut Kohl gab es in den Neunzigerjahren nur einen Fall: Umweltminister Klaus Töpfer ließ sich im Jahr 1991 bei der Ausarbeitung einer Norm helfen. Deutlich ausgeweitet hat dies Rot-Grün: In den sieben Jahren halfen Kanzleien oder Unternehmen bei 25 Gesetzen oder Verordnungen. Knapp die Hälfte der Aufträge kam aus dem Haus von Trittin, das 486.985 Euro zahlte.
Auch Merkels Minister setzten in einzelnen Fällen auf externe Hilfe: Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Finanzminister Peer Steinbrück von der SPD genauso wie Familienministerin Ursula von der Leyen, Innenminister Wolfgang Schäuble von der CDU und Wirtschaftsminister Michael Glos von der CSU. Nur einer liegt über dem Durchschnitt: Umweltminister Sigmar Gabriel. Der jetzige SPD-Parteichef ließ Berater von außen bei 23 Gesetzen und Verordnungen mitarbeiten. Und niemand sonst gab dafür so viel Geld aus: 3.109.322 Euro in vier Jahren.
Für Ulrich Müller von Lobby Control "bekommt man ein Problem mit der Ausgewogenheit von Gesetzen, wenn externe Berater daran mitarbeiten". Großkanzleien hätten oft Großunternehmen als Kunden und stünden diesen nahe. Dadurch sei ein Einfluss auf das Gesetz möglich. Allerdings nicht so platt, dass ein Unternehmen dafür bezahlt, dass die Kanzlei konkrete Inhalte in das Gesetz bringt. "Aber solche Kanzleien haben eine bestimmte Sichtweise, sie stehen den Argumenten der Wirtschaft näher, sind nicht mehr neutral."
Auch Hans-Ulrich Benra, Vorsitzender des Verbands der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden, sagt: "Beamte sind gemeinwohlorientierte Sachwalter", die unterschiedliche Interessen zum Ausgleich bringen sollen.
"Wir sind nicht neutral", sagt Andreas Kraemer, Geschäftsführer von Ecologic. Das Unternehmen war der Hauptprofiteur des Gesetzes-Outsourcings im Umweltministerium: 1,8 Millionen Euro flossen in vier Jahren an Ecologic für deren Mithilfe bei der Gesetzgebung, vor allem beim Thema erneuerbare Energien. "Wir haben eine Mission, und die lautet: Verbesserung der Umweltpolitik", so Kraemer.
Hauptkunde von Ecologic ist die Europäische Kommission, gut 10 Prozent des Umsatzes machte das Unternehmen mit dem Umweltministerium.
Einige Mitarbeiter sind so nah dran, dass das Haus ihnen gleich einen Schreibtisch im Ministerium zur Verfügung stellt: Durchschnittlich vier bis fünf Angestellte von Ecologic arbeiteten in den letzten Jahren direkt in den Räumen des Umweltministeriums, sagt Kraemer. Seine Mitarbeiter arbeiteten beim Emissionshandelsrecht mit, beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz oder bei dem Entwurf für ein Umweltgesetzbuch.
Aber warum haben das nicht die Beamten im Ministerium gemacht? "Die waren voll ausgelastet und hatten nicht so viele Stellen, wie sie brauchten", sagt Kraemer. Auch Jürgen Trittin, heute Fraktionsvorsitzer der Grünen, weist darauf hin, dass die Ministerien seit 1990 jährlich 1,5 Prozent ihrer Stellen kürzen mussten. Und das, obwohl "die Probleme und Komplexitäten jährlich nicht um 1,5 Prozent sinken, sondern kontinuierlich steigen".
Die Bundesministerien hatten im Jahr 1993 zusammen noch gut 25.000 Mitarbeiter - 15 Jahre später sind es nur noch knapp 21.000. Das Umweltministerium zum Beispiel hatte Anfang der Neunzigerjahre noch 850 Mitarbeiter. Trittin übernahm es 1998 mit 740 Mitarbeitern. Im Jahr 2002 wechselte die Zuständigkeit für erneuerbare Energien vom Wirtschaftsministerium in sein Haus. Die Zahl der Mitarbeiter sank weiter.
Trittin sagt, es sei "selbstverständliche Praxis, bei der Rechtssetzung für spezielle Fragen sich auch des juristischen Sachverstands von außen zu bedienen". Dies sei bei Themen geschehen, "wo es gerade darum ging, den Einfluss mächtiger Wirtschaftsgruppen zurückzudrängen". Dies geschah gehäuft, als es um den Emissionshandel ging. Trittin: "Das war ein völlig neues politische Instrument, das in einem durch Europarecht vorgegebenen Zeitrahmen umzusetzen war."
Viel Arbeit machte das nach Erinnerung von Ecologic-Geschäftsführer Kraemer auch deshalb, weil es eine "erhebliche technische Dynamik gab". Neue Biogasanlagen, das schnelle Wachstum der Windenergie und technologische Sprünge bei der Solarenergie erforderten Änderungen der Verordnungen. Seine Mitarbeiter hätten dabei auch Formulierungsvorschläge gemacht, "aber die endgültige Entscheidung lag immer beim Ministerium". Doch auch Karl-Theodor zu Guttenberg hatte freilich im Fall des Bankensanierungsgesetzes darauf verwiesen, die Kanzlei Linklaters habe lediglich ausformuliert, was sein Staatssekretär an inhaltlichen Grundzügen vorgegeben hatte.
Ulrich Müller von Lobby Control meint, man dürfe keinen Unterschied machen zwischen der Hilfe einer Kanzlei für ein Bankengesetz und der Hilfe eines gemeinnützigen Ökoinstituts für das Umweltrecht. "Man muss da grundsätzlich einen klaren Schnitt machen und sagen: An den Gesetzen arbeiten nur demokratisch legitimierte Institutionen mit." Wenn man das einmal einreißen lasse, dann sei es "hoch problematisch, da eine Grenze zu ziehen". Wenn die Ministerien diese Arbeit nicht mehr selbst leisten könnten, "dann läuft da etwas in der Organisation schief". Er sieht einen sich selbst beschleunigenden Prozess: "Wenn man selbst keine fachkundigen Mitarbeiter hat und deshalb Externe beauftragt, dann baut man die notwendige Kompetenz auch nicht auf und braucht beim nächsten Mal wieder Berater."
Das zeigt sich etwa am Beispiel des Umweltministeriums. Was Jürgen Trittin begann, baute Sigmar Gabriel noch viel stärker aus. Und dabei holte er sich auch Politikberater wie Ecofys ins Haus. Die beraten auch Unternehmen darin, wie diese die Umweltgesetze möglichst gut für sich nutzen können.
Hans-Ulrich Benra vom Verband der Beschäftigten der Bundesbehörden hat die Entwicklung aufmerksam verfolgt. "Im Umweltministerium sind die Externen im Lauf der Zeit viel zu stark in die interne Organisation integriert worden, was die Unabhängigkeit in Gefahr gebracht hat." Er hat nichts gegen Projektgruppen, in denen Beamte mit Externen zusammenarbeiten. "Aber wenn ich wie hier irgendwann ganze Komplexe an Externe vergebe, dann habe ich überhaupt keine Herrschaft mehr über die Ziele."
Benra sagt, mit der Zeit sei eine große Nähe zwischen den Mitarbeitern der Unternehmen und denen im Ministerium entstanden. Die Aufträge seien auch immer wieder an die gleichen Unternehmen vergeben worden. "Das erweckt den Anschein, als ob die Grundsätze des Vergaberechts und der Korruptionsprävention nicht immer eingehalten wurden."
Das Bundestagsbüro von Gabriel teilt mit, er werde zu diesem Thema nichts sagen, das Umweltministerium sei da der richtige Ansprechpartner. Dort sagt ein Sprecher: "Zur Vorgängerregierung kann ich keine Stellung nehmen."
Und was wird der neue CDU-Umweltminister Norbert Röttgen mit den derzeit fünf Mitarbeitern von Ecologic machen, die derzeit noch bei ihm im Haus sitzen? "Das können wir derzeit nicht absehen."
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