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Ottenseneuphorie

■ Ein Bildband als Liebeserklärung: 45 Ottenser Autoren und ein Fotograf beschreiben ihren Stadtteil

Manhattan ist wie Ottensen ist wie das Quartier Latin: Wenn Lokalpatrioten zu schwärmen beginnen, ist kein Vergleich zu abstrus, um die Weltläufigkeit eines Stadtteils zu beschreiben. So geht es den 45 Überzeugungs-Ottensern, die in dem Buch Lustwandel in Ottensen erklären, warum ihr Stück Altona so schön ist.

Nett ist es, weil immer Leute auf der Straße sind, meint eine Autorin, und wegen der vielen Cafés. „Entweder hier wohnen oder ganz aus Deutschland raus“, schreibt eine Friseuse. Es folgt die Meinung eines Bankangestellten, dann die Impressionen zweier Pflastersteine. Gemeinsam mit den Texten eines Apothekers, einer Rentnerin, eines Fahrradhändlers und vieler anderer mehr versprühen sie auf 144 Seiten Ottenser Lebensgefühl – multikulturell, bürgerbewegt und systemkritisch.

Anspruch auf Objektivität erhebt niemand, was die Beiträge um so glaubwürdiger macht. Anders als die gängigen Stadtführer zählt der Lustwandel mit dem schlichten Untertitel Fotos und Texte aus zwei Jahrzehnten keine Stadtteil-Attraktionen auf. Wer das Buch liest, bekommt den Eindruck, einige Menschen aus dem Stadtteil kennengelernt zu haben. Beim späteren Gang durch die Fußgängerzone ertappt man sich dabei, mutmaßliche Rentner anzustarren – welcher war es wohl, der auf Seite 26 geschrieben hat „ich finde es geil, in Ottensen zu wohnen“?

Trotz allgemeiner Ottensen-Euphorie schleicht sich portiönchenweise Nostalgie in die Beiträge: „Früher“, seufzen die Texte, „als die Bürgerinis noch Bürgerinis waren ...“ Niedergekämpft hat man da die geplante Bustrasse und den Kemal-Altun-Platz besetzt! Jetzt sind die Wohnungen teurer, die Ottenser wohlhabender und die Bäcker zahlreicher als vor zwanzig Jahren. Wo einst der Bahnhof war, hockt ein „Kaufhaus mit Gleisanschluß“, während der Mercado-Bau fest auf den Resten des jüdischen Friedhofs steht.

Auch wenn manche Autoren von berechtigter Kritik in Selbstmitleid abrutschen: Lustwandel in Ottensen ist kaufenswert, schon wegen der illustrierenden und dokumentierenden Fotos. 122 Bilder von Asmus Henkel zeigen, was sich in den vergangenen zwei Dekaden verändert hat und machen neugierig auf einen Stadtteil-Spaziergang. Verdienen wird Henkel, der gemeinsam mit Karin Prinzhorn und Helga Tappé auch als Herausgeber zeichnet, an dem Bildband nichts. Der Verkaufspreis deckt gerade die Herstellungskosten, unterstützt wird das Projekt vom Altonaer Kulturausschuß.

Passend zum Konzept des Buchs wird Lustwandel in Ottensen nicht nur in Buchhandlungen, sondern auch beim Frisör, beim Optiker und im Blumenladen verkauft – eine Mischung aus Fotoband, literarischem Stadtspaziergang und Schnack mit dem Nachbarn für Tage, an denen das Wetter einen echten Stadtbummel verleidet.

Judith Weber

Lustwandel in Ottensen, Verlag auf hoher See, 34 Mark

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