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berliner szenenOsterzopf mit dick Butter

Seit meiner ersten Zecke im Januar hab ich mir vorgenommen: Klamotten auszuschütteln nach Ausflügen ins Grüne. Zurück von einem solchen öffne ich zu Hause das Fenster, Blick auf den Parkplatz drüben – leer. Sonntag. Keine Autos, kein Rattern und Klirren der Einkaufswagen. Sonderbarerweise auch keine elektrischen Kinder-SUVs oder rivalisierende Elstern, befinde ich, Hose in der Hand, lehne ich mich hinaus. Hinten, Richtung Rampe, sehe ich ein Hochrad friedlich und ruhig im Abendrot ziehen, der Fahrer scheinbar schwerelos in der Luft sitzend. Als säße er seit unvordenklicher Zeit frohen Mutes da droben. Ich schüttle die Hosen aus, halte inne, gucke genauer hin – und mache eine Pickelhaube auf dem Kopf des Fahrers aus. Ein Freak, lächle ich, die Hose beim Gucken noch einmal schüttelnd. Zu dolle. Mit Karacho schlägt die schwere Gürtelschnalle gegen meine Armbanduhr. Was grade noch Ziffernblatt war, ist nun Glasbruch.

Der Uhrmachermeister gleich ums Eck, den ich daraufhin aufsuche, erweist sich als Glücksfall: seine Gesellenprüfung hat er vor der Wende an einer Uhr desselben Modells gemacht, sagt er, sie minutiös zusammengebaut. Verfügt über einen Fundus an Originalteilen. Er inspiziert die Uhr, auch deren Automatikgetriebe steht seit der Gürtelgeschichte still. Auf einem gedrechselten Tisch hinter der Theke erspähe ich derweil ein schweres Kelchglas, rot gefüllt, auf KPM-Porzellan zwei üppig bebutterte Scheiben Rest-Osterzopf, eine davon angebissen. Und eine Pickelhaube. Der Uhrmacher ist meinem Blick gefolgt und erläutert: Nun ja!, er möge die alte Zeit – und „Hefezopf mit dick Butter“, das sei wichtig. Mit dem Helm auf dem Kopp fahre er bei Schönwetter neuerdings Hochrad, auch gestern, gleich nebenan vorm Supermarkt.

Kenn ick, weeß ick, sag ich. Erzähl ihm meine Geschichte. Felix Primus

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