Ostermarsch vor 40 Jahren: "Die gleichen Themen wie 1968"
Der Berliner Ostermarsch vor 40 Jahren entwickelte zu einer gewaltigen Demonstration, sagt der damilige Mitorganisator Klaus-Dieter Heiser. Grund war das Attentat auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag.
KLAUS-DIETER HEISER, 61, war Mitorganisator des Berliner Ostermarsches 1968 und ist auch dieses Jahr wieder dabei. Er ist Mitglied der Partei Die Linke.
Der diesjährige Berliner Ostermarsch findet am kommenden Montag statt. Die Auftaktkundgebung beginnt um 12 Uhr am Adenauerplatz. Anschließend ziehen die Demonstranten über den Kurfürstendamm zur Gedächtniskirche. Dies teilte die Friedenskoordination (Friko) am Dienstag mit. 50 Berliner Friedensorganisationen, Gewerkschaften, Parteien (darunter Die Linke und die Grünen) rufen zu dem traditionellen Protestmarsch auf.
Forderungen des Ostermarsches sind die Beendigung des Irakkriegs, Frieden zwischen Israelis und Palästinensern sowie der Abzug der (deutschen) Soldaten aus Afghanistan. "Der Ostermarsch ist ein Marsch der Zivilcourage. Wir fordern, dass zivile Lösungen endlich an die Stelle von Kriegseinsätze treten", erklärte Mitorganisator Reiner Braun. Über die erwarteten Teilnehmerzahlen wollte er keine Aussagen machen. Im vergangenen Jahr waren rund 2.000 Menschen mitgelaufen. Zu einer weiteren Demonstration lädt die brandenburgische Bürgerinitiative "Freie Heide" am Ostersonntag nach Fretzdorf (14 Uhr) ein. Bei dem 16. Ostermarsch soll der Protest gegen das in Nordbrandenburg geplante "Bombodrom" fortgesetzt werden.
taz: Herr Heiser, wie sind Sie zu der Ostermarsch-Bewegung gestoßen?
Klaus-Dieter Heiser: In meiner Lehrzeit zum Schriftsetzer war ich Mitglied in der Gewerkschaftsjugend. 1964 bekam ich auf dem Antikriegstag an der Gedächtniskirche Kontakt zur Kampagne für Abrüstung, der Ostermarschbewegung der Atomwaffengegner. Ich fand das Anliegen interessant und unterstützenswert. Seitdem habe ich im Berliner Regionalausschuss der Kampagne für Abrüstung mitgearbeitet.
Den ersten Ostermarsch in Berlin gab es aber erst einige Jahre später.
Von 1962 bis 1965 beteiligten sich Berliner am Ostermarsch in Niedersachsen. Es hatte im zentralen Ausschuss Bedenken gegeben, in Berlin einen Ostermarsch durchzuführen.
Warum denn?
Die spezielle Lage Westberlins nach dem Mauerbau hielt die Kampagne für Abrüstung zunächst davon ab.
Andere Demos gab es in dieser Zeit aber in Berlin.
Das stimmt. Seit 1965 gab es eine Reihe von Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen. Das hat schließlich alle überzeugt. 1967 fand dann der erste Ostermarsch in Berlin statt, der vom Rat- haus Neukölln nach Wilmersdorf zog.
Was passierte an Ostern 1968?
Für Gründonnerstag, der auf den 11. April 1968 fiel, hatten wir von der Kampagne für Abrüstung eine Podiumsdiskussion in der Technischen Universität zum Thema Atomwaffensperrvertrag geplant. Ostersonntag wollen wir eine Picketing-Aktion machen: 1.500 Menschen sollten dabei zwischen Wittenbergplatz und Olivaer Platz immer im Kreis laufen und dabei Protestschilder tragen.
Und dann?
Am Gründonnerstag wurde das Attentat auf Rudi Dutschke verübt. Uns wurde klar, dass die Podiumsdiskussion einen ganz anderen Charakter bekommen wird. Dort wurde debattiert, wie sich die Protestbewegung nach diesem Mordanschlag verhalten sollte. Von dieser Diskussion ging dann ein Demozug zum Axel-Springer-Haus in der Kochstraße.
Was bezweckten Sie damit?
Uns ging es in dieser Phase vor allem darum, mit den Inhalten des Ostermarsches das Demonstrationsrecht in Berlin zu verteidigen. Wir sahen eine enge Verbindung zwischen dem Anschlag auf den Studentenführer Dutschke und der vorangegangenen Hetze von Springer gegen ihn und die Studierenden.
Was wurde aus dem eigentlichen Ostermarsch?
Die Picketing-Aktion am Ostersonntag entwickelte sich zu einer großen Demonstration. An der Gedächtniskirche griff dann die Polizei an. Polizisten auf Pferden ritten einfach in die Demonstranten hinein, Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht. Sie kamen dann am Kranzler-Eck zum Einsatz.
Waren die Studierenden und die Ostermarschierer verschiedene Bewegungen?
Die Kampagne für Abrüstung war eine der großen Keimzellen der Außerparlamentarischen Opposition. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) hat bei der Kampagne von Anfang an mitgearbeitet. Deshalb gab es auf der zentralen Ebene, auch hier in Berlin, eine sehr enge Verbindung zu den studentischen Gruppen. Es fanden synchron geplante und durchgeführte Aktionen mit gleichen Transparenten und Losungen statt.
Hatten die beiden Gruppen denn die gleichen Ziele?
Die gemeinsamen Ziele waren Ende 1967, Anfang 1968 formuliert worden: Die Kampagne gegen den Springer-Konzern, die Proteste gegen die Notstandsgesetzgebung sowie die Forderung nach Beendigung des Krieges der USA in Vietnam und die Auseinandersetzung mit der Militärpolitik der Bundesregierung.
Aus welchem Milieu entstammten die Mitglieder der Kampagne für Abrüstung?
Das war ganz unterschiedlich. Wir hatten im regionalen Ausschuss Berufstätige, Gewerkschaftsleute und einige, die an der Hochschule waren. Die Kampagne für Abrüstung war ein Bündnis von Personen, nicht von Organisationen. So sorgten wir dafür, dass die Kampagne für Abrüstung parteipolitisch nicht zu vereinnahmen war.
Wie passen die zwei Gruppen, friedliche Ostermarsch-Leute und radikale Studenten, zusammen?
Diese Differenzierung ist falsch. Februar bis Mai 1968 war für mich, besonders im Rückblick, der Höhepunkt der Außerparlamentarischen Bewegung. Aber es war auch ein Wendepunkt. Dies hat mehrere Ursachen innerhalb der APO, innerhalb der Kampagne für Abrüstung, aber auch außerhalb. Uns bewegte eine Vielzahl von Themen, die auch neue Akteure in die Bewegung gebracht haben. Viele haben unterschiedliche politische Folgerungen daraus gezogen.
In den 70ern gab es dann keine Ostermärsche mehr.
Es entwickelten sich neue Formen des Protests. Zum Beispiel gelangte man zu der Ansicht, dass man die Inhalte Frieden, Abrüstung und demokratische Rechte in den 1. Mai hineintragen sollte. Außerdem wollte man dieses Datum wieder in die Tradition der Arbeiterbewegung zurückführen. Der DGB hatte zusammen mit dem Senat über viele Jahre am 1. Mai antikommunistische Kundgebungen organisiert unter dem Motto "Berlin bleibt frei". Dabei spielten die gewerkschaftlichen Inhalte quasi keine Rolle. Und so entstand aus diesen Diskussionen ein neues Bündnis, bei dem viele neue Gruppen beteiligt waren. Der 1. Mai bekam wieder eine starke politische Ausstrahlung.
Vom heutigen Standpunkt aus: Was kann man vom Ostermarsch 1968 lernen?
Viele Entwicklungen wurden durch 1968 ermöglicht, etwa Fortschritte bei der Selbstbestimmung der Frau und alternative Lebensformen in Wohngemeinschaften. Auch wenn noch nicht alles komplett umgesetzt ist, gibt es heute ein anderes Bewusstsein. Einige Akteure von damals werden auch dieses Jahr beim Ostermarsch wieder dabei sein. Die Themen ähneln sich ja stark. War der Slogan 1968 "Amis raus aus Vietnam", wird es 2008 "Bundeswehr raus aus Afghanistan" heißen.
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