: Ostberliner Adressen weitergegeben
■ Ostberliner Einwohnerregister befindet sich im Statistischen Landesamt von West-Berlin/ Wählerverzeichnis für Gesamt-Berlin macht einen Abgleich notwendig/ Datenschutzbeauftragter: Datentransfer mit Personenkennziffer ist verfassungswidrig
Berlin. Nachdem die Mauer gefallen ist, ist auch der Datenschutz zerbröckelt: Die im Ostberliner Einwohnerregister gespeicherten Adressen aller Ostberliner Bürger befinden sich inzwischen in West-Berlin. Für die Erstellung eines gemeinsamen Wählerverzeichnisses für die Wahlen am 2. Dezember wird die Liste im Statistischen Landesamt bearbeitet. Besonders brisant: Mit den Adressen verfügt erstmals eine westdeutsche Behörde auch über die Personenkennzahlen (PKZ) aller Ostberliner. Möglicherweise wurden auch Daten über Wahlausschlußgründe vor der Wende, die von der Stasi erfaßt und benutzt worden seien, geliefert.
Der Datenabgleich zwischen Ost- und West-Berlin ist notwendig, weil manche Berliner auch einen zweiten Wohnsitz im jeweils anderen Teil der Stadt haben. Da die Hauptstadt in spe noch von einer Staatsgrenze durchzogen wird, gilt ein zweiter Wohnsitz als Hauptwohnsitz: Berliner, die in beiden Stadthälften gemeldet sind, könnten zweimal ihre Stimme für das Berliner Landesparlament und den Bundestag abgeben. »Das wäre ein Grund zur Wahlanfechtung«, so Landeswahlleiter Appel, der auch das Statistische Landesamt leitet. Deshalb müssen die Melderegister aus beiden Teilen Berlins auf doppelte Adressen untersucht werden, bevor sein Amt ein Gesamtberliner Wählerverzeichnis erstellen könne.
Doch mit den Personenkennzahlen aus dem Ostberliner Register erhält Appel theoretisch Zugriff auf alle weiteren Daten in anderen staatlichen DDR-Verwaltungen, weil immer über diese zwölfstellige Ziffer die zur betreffenden Person gehörenden Daten festgehalten worden sind. Weil mit Hilfe dieses Schlüssels Personenprofile erstellt werden können, hat das Verfassungsgericht solch einen »Datendietrich« in der Bundesrepublik 1976 verboten. Der Direktor des Statistischen Landesamtes, Günther Appel, erklärte gestern der taz zwar, daß die PKZs »sofort« gelöscht würden, sobald man das Ostberliner Einwohnerregister nicht mehr benötige, doch der Westberliner Datenschutzbeauftragte sieht in dem Datentransfer sogar darüber hinaus verfassungswidriges Verhalten.
Nach bundesdeutschem Datenschutzrecht, erklärte Datenschützer Hanns-Wilhelm Heibey, dürften die Kennzahlen auch deshalb nicht an Westberliner Ämter übermittelt werden, weil sie als Daten gar nicht benötigt würden. Der Sprecher des Westberliner Senatsverwaltung für Inneres, Werner Thronicker, konterte, daß durch die Übergangsfristen im Einigungsvertrag die Daten »so verwendet werden dürfen, wie sie vorhanden sind«. Doch da der Einigungsvertrag noch nicht gilt, gelten natürlich auch die Übergangsfristen nicht.
Daß auf den 15 Magnetbändern, die Mitarbeiter des statistischen Amtes der DDR erst bei einer falschen Behörde abgeben wollten, auch Stasi- Daten gespeichert sein sollen, bestritt Thronicker heftig. Auf den Spulen seien nur Name, Adresse und die PKZ, die das Geburtsdatum enthält, festgehalten. Lena Schraut, Al-Abgeordnete, behauptet dagegen, daß auf den Datensätzen Informationen mitgeliefert worden seien, »die ausschließlich die Stasi genutzt hat«. Unter anderem seien dies Wahlausschlußgründe »vom Ausreiseantrag bis zur Entmündigung«. Die AL fordert von Innensenator Pätzold, die Bänder sofort zurückzugeben. »Will denn die AL die Wahl scheitern lassen?« entgegnete Thronicker.
Der Datenschutzbeauftragte hat gestern das Statistische Landesamt aufgefordert bekanntzugeben, welche Daten vorliegen und welche benutzt werden. Mit der PKZ habe auf jeden Fall ein weiteres Amt »verfassungswidrige Kennzeichen«. Jetzt müsse die Verbreitung der unerlaubten Daten »verhindert werden«. Dirk Wildt
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