Ost-Grenzen weisen Mängel auf: Europas teure Grenzfälle
Noch ab diesem Jahr wird der Wegfall der Grenzkontrollen auch für die meisten Länder der EU-Osterweiterung gelten. Zuvor gilt es aber, eine lange Mängelliste abzuarbeiten.
Im Europaparlament lief sich Justizkommissar Franco Frattini kürzlich schon mal warm für die Reden, die er im Dezember an den offenen Schlagbäumen halten wird: "Von der iberischen Halbinsel bis ins Baltikum, von Griechenland bis Finnland werden die Menschen ohne Grenzkontrollen reisen können", schwärmte der Italiener. Das sei "wahrhaft symbolisch" für das vereinte Europa.
Da wollten die Abgeordneten auch nicht als Miesmacher dastehen. Der CSU-Abgeordnete Manfred Weber erinnerte daran, dass in seiner Heimatregion an der Grenze zur Tschechischen Republik früher "die Welt zu Ende" war. "Viele haben nicht geglaubt, dass die osteuropäischen Freunde das Schengen-Informationssystem so gut umsetzen würden. Gratulation dazu und Respekt!", sagte Weber. Der Sozialdemokrat Wolfgang Kreissl-Dörfler traf wohl eher den Kern der Sache, als er feststellte, Staus und lange Schlangen an den Binnengrenzen trügen auch nicht gerade zur Sicherheit bei.
In den Jahren 2004 bis 2006 hat die Europäische Union 960 Millionen Euro dafür ausgegeben, die neuen Außengrenzen technisch gut auszustatten und die polizeiliche Zusammenarbeit sowie den Datenaustausch (Schengen-Informationssystem SIS und Visa-Informationssystem VIS) mit den neuen Mitgliedsstaaten zu verbessern.
Dennoch drängte die EU-Kommission zunächst darauf, die Erweiterung des Schengenraumes zu verschieben. Es hakte aber nicht in Polen, Tschechien oder Estland, sondern in der alten EU. Die Software für das überarbeitete elektronische Kriminalregister "Schengen-Informationssystem zwei" (SIS II) und die neuen Computernetze wurden nicht rechtzeitig fertig. Da der Abbau der Schlagbäume aber hohen symbolischen Wert hat und weihnachtliche Bilder vom Zusammenwachsen Europas in die Welt gesendet werden sollen, wurde das alte Datensystem SIS I für eine Übergangszeit so umgestrickt, dass 25 Staaten angeschlossen werden können. Störungen auf dieser Datenautobahn, die nur Polizisten zugänglich ist und die Kontrollen an den Binnengrenzen ersetzen soll, werde es nicht geben, versichern Fachleute.
Doch es gibt andere Probleme. Eine Expertengruppe, die 2006 und 2007 die neuen Schengenländer bereiste, hat eine lange Mängelliste aufgestellt. Sie wurde von der portugiesischen Ratspräsidentschaft an die Mitgliedsländer verschickt, aber nicht veröffentlicht. Aus dem Papier geht hervor, dass an den neuen Außengrenzen die technischen Einrichtungen, aber auch das Problembewusstsein der Beamten nicht ausreichen, um illegale Einwanderung zu bekämpfen. Gravierende Mängel gebe es vor allem bei der Visumsvergabe.
In Tschechien gibt es keine Anlaufstelle für Ermittler aus den Nachbarländern, die Amtshilfe brauchen, wenn Verdächtige sich auf tschechischem Boden befinden. Allerdings sind zwei Verbindungsstellen in Breitenau in Sachsen und in Schwandorf in Bayern geplant, in denen deutsche und tschechische Polizisten zusammenarbeiten sollen. Im polnischen Swiecko nahe Frankfurt (Oder) soll eine ähnliche Verbindungsstelle für deutsche und polnische Beamte entstehen. BKA, Bundespolizei, Zoll und polnischer Grenzschutz sollen dort zusammenarbeiten.
Estland hat laut Mängelliste zu wenig Grenzschützer. In Lettland und Ungarn sei das Personal schlecht ausgebildet, Litauen schütze seine Seegrenze zu wenig. In Polen sei die Zusammenarbeit zwischen Zoll und Grenzschutz verbesserungswürdig.
Die schärfste Kritik muss aber der Inselstaat Malta einstecken. Dort fehlen alle Voraussetzungen, um die Luft- und Seegrenzen wirksam zu schützen. Die maltesische Regierung hat in der Vergangenheit selbst betont, dass sie dem Problem ohne Unterstützung der EU nicht gewachsen sei. Eine gute Nachricht für Malta hält der Chef der europäischen Grenzagentur Frontex, der Finne Ilkka Laitinen, bereit. Er beobachtet, dass sich die Flüchtlingsströme aus dem Mittelmeer zunehmend Richtung Osteuropa verlagern. Die Flüchtlinge erhoffen sich dort wohl leichteren Zugang zum Gebiet der EU.
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