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Osman Engin Die CoronachronikenDie Corona- Poleposition

privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Meine Frau Eminanim und ich kommunizieren seit Tagen zwischen 14 und 16 Uhr nur noch übers Internet. Sie rührt dabei zu Hause in der Küche im Topf, ich hänge im Krankenhaus am Tropf.

Selbst in dieser Zeit, in der wir uns sehnsüchtig über unsere Bildschirme anglotzen, lästert sie mit ihren Freundinnen ungeniert über mich.

„Jetzt hat Osman sich auch noch den kleinen Zeh gebrochen. Er lief gestern am helllichten Tag gegen eine geschlossene Tür“, erklärt sie unserer Nachbarin, die auch in unserer ­Küche sitzt und an ihrem Tee schlürft.

„Was für Wehwehchen hatte er denn letzte Woche?“, fragt die Nachbarin amüsiert. Meine Frau antwortet genauso amüsiert in alphabetischer Reihenfolge: „Blinddarmentzündung, Hämorriden, Hörsturz, Nierenstein. Entschuldige, aber die Hälfte seiner Krankheiten habe ich inzwischen vergessen.“

„Bluthochdruck, Magenkoliken, starker Schwindel“, helfe ich meiner Frau von meinem Krankenbett aus auf die Sprünge. „Siehst du, Eminanim, all die Jahre hast du mir vorgeworfen, ein Hypochonder zu sein. Was sagst du jetzt? Eine schlimme Krankheit folgt auf die andere“, und schaue sie dabei über meinem Laptop sowohl vorwurfsvoll als auch siegreich an.

„Ja, Hümeyranim, du hast recht“, redet meine Frau weiter mit ihrer neugierigen Freundin. „Andere Menschen verschieben ihre dringenden Operationen, um sich von Krankenhäusern fernzuhalten und um sich nicht mit diesem tödlichen Coronavirus anzustecken – Osman wohnt regelrecht seit Monaten im Krankenhaus!“

„Siehst du, Eminanim, wie mutig ich bin? Du wagst ja nicht mal hierher zu kommen, um mich zu besuchen. Du Corona-Feigling“, knurre ich.

„Ich weiß schon, weshalb deine sämtlichen Zipperlein Mitten in der Coronakrise aktiv werden“, knurrt sie vielsagend zurück.

Ich richte mich in meinem Krankenbett sofort neugierig auf.

„Soso! Lass mal hören, deine Theorien?“

„Weil du als unverbesserlicher Vollzeit-­Hypochonder eine neue, angesagte Krankheit sofort haben musst, versorgt dein Unterbewusstsein dich im Moment mit alten, klassischen Beschwerden, bis es für dich die neue, angesagte Coronavariante auftreiben und dich anstecken kann.“

Nicht schlecht die Theorie! Fast hätte meine Frau, die zweitgrößte Nervensäge des Mittleren Orients, erraten, dass ich meinem Körper beim Auftreiben der alten, klassischen Beschwerden tatkräftig nachhelfe, damit ich jederzeit einen Stammplatz im Krankenhaus habe, falls bei mir die neue, angesagte Coronavariante unvermittelt ausbricht. Hier, in ärztlicher Aufsicht, bin ich in guten Händen und liege gleichzeitig an der Poleposition.

Ich werde mir sofort das Beatmungsgerät schnappen, das ich unter meinem Bett deponiert habe.

Corona-Prophylaxe durch Hörsturz und ­Hämorriden sozusagen.

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