piwik no script img

Osman Engin Die CoronachronikenDie Corona-Kundschaft

Mein Sohn Mehmet, der ewige Student, ist der kapitalistischste Kommunist, den es auf der Welt gibt. Seine Mitwählzentrale ist ja inzwischen deutschlandweit berühmt, wo er bei jeder Wahl die Briefwahlunterlagen von politikmüden Eingeborenen für 22,50 Euro einkauft und an Migranten ohne Wahlrecht für 45 Euro weiterverkauft.

Selbst mit den Coronaviren hat er einen blühenden Handel getrieben. Er hat übers Internet seine Coronaviren meistbietend verhökert und mehrere Leute angesteckt, die dafür viel Geld bezahlten, „damit sie den ganzen Mist hinter sich lassen und ihr normales Leben weiter leben können“, wie sein Werbeslogan lautete. Im Internet findet man halt für jede hirnrissige Idee einen noch hirnrissigeren Abnehmer.

Aber seit längerer Zeit lungert Mehmet nur noch faul zu Hause rum und tut gar nichts mehr. Seine Mutter tippt auf Liebeskummer, ich tippe auf die coronabedingten nächtlichen Schließungen von Kneipen und Diskotheken als die Ursache seiner Trägheit.

„Osman, was hat er bloß? Warum ist mein armer Junge so depressiv? Du musst mit ihm von Mann zu Mann zu reden“, sagt sie.

„Warum ich? Rede du doch mit ihm von Mann zu Mann“, antworte ich.

„Er hat seit Monaten keinen Schritt vor die Tür gemacht“, schimpft sie mit mir.

Also gebe ich die Schimpferei an Mehmet weiter.

„Quatsch! Ich bin doch nicht depressiv. Vater, siehst du denn nicht, wie gut es mir geht?“, lacht er.

„Mehmet, du Faulpelz! Du hast seit Monaten keinen Schritt vor die Tür gemacht!“

„So verdiene ich doch mein Geld“, grinst er hinterhältig.

„Wie? Für zu Hause Rumlungern wird man bezahlt? Warum sagst du mir das jetzt erst?“

„Ich lungere nicht rum, ich verdiene Geld. Ich befinde mich in häuslicher Quarantäne für 12,50 Euro die Stunde.“

„Bei Allah, hast du dich etwa schon wieder mit Corona angesteckt?“

„Nein, nein, ich sitze für Herrn Hasan Ürgüplü in Quarantäne. Davor war Herr Ramazan Denizköylü mein Auftraggeber.“

„Junge, ich kapiere gar nichts mehr“, antworte ich verwirrt.

„Vater, ständig kommen Leute mit Corona aus dem Türkeiurlaub und jede Woche gibt es auch irgendwo eine türkische Hochzeit, wo sich viele Leute mit dieser Krankheit anstecken. Gegen ein hübsches Sümmchen dürfen diese Leute meine Personalien durchgeben und ich sitze für sie zu Hause in Quarantäne, während sie ihren Geschäften nachgehen können.“

Tatsächlich ruft kurz darauf das Gesundheitsamt übers Festnetz an.

„Guten Tag, Hasan Ürgüplü am Apparat“, meldet sich Mehmet zu Wort. „Ich weiß, ich muss noch drei Tage in Quarantäne bleiben. Nein, ich habe noch keinerlei Corona-Symptome.“

„Mehmet, mein lieber Sohn, würdest du mich bitte auch einstellen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen