piwik no script img

Osman Engin Die Corona-ChronikenWer wird Corona-Millionär?

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Eminanim, hast du mitgekriegt, was für neue Coronaregeln unsere Kanzlerin Frau Merkel eben im Fernsehen angekündigt hat?“, rufe ich zu meiner Frau in die Küche.

Von dort kommen so laute Geräusche, als würde meine Frau keine Bohnen, sondern Stahl kochen. Mit Sicherheit kriege ich heute wieder nichts als angebrannte Bohnensuppe zu essen.

„Osman, das ging aber schnell! Sie hat also schon gekündigt?“, brüllt sie zurück, während sie wild mit Töpfen und Pfannen klappert. „Ich hab’s gleich gesagt! Sich als Frau im Parlament mit Hunderten von hässlichen, dicken Männern rumzuärgern ist kein Zuckerschlecken. Jetzt wo sie gekündigt hat, kann sie im Fernsehen eine nette Kochshow moderieren oder in einer hübschen Liebesserie mitspielen: ‚Zur Ehe mit der SPD gezwungen. Kanzlerin wider Willen‘ zum Beispiel“, sprudelt es aus ihr heraus.

„Eminanim, Merkel hat nicht ihren Job gekündigt, sondern in ihrer Ansprache viele neue Coronaregeln angekündigt. Sie hat gesagt, wenn wir nicht aufpassen, haben wir bald eine Million Infizierte. Vielleicht sogar eine Million Tote. Wegen deinem Lärm konnte ich es nicht richtig verstehen.“

„Ja, ich weiß, mit Günther Jauch.“

„Was? Der ist auch tot?“

„Heute Abend. ‚Wer wird Millionär‘ mit Günther Jauch“, brüllt sie.

„Die Kanzlerin sagte, eine Million infizierte, nicht Millionär! Kannst du bitte eine Minute aufhören rumzuklappern! Frau Merkel sagt, dass die meisten Ansteckungen zu Hause passieren. Insbesondere wenn die Leute ständig laut brüllen, so wie du. Also trage bitte immer einen Mundschutz.“

„Ja. Das kennt die Frau Merkel noch aus der alten DDR“, kreischt sie zu ihrer höllisch lauten Küchenmusik mit Pfannen und Töpfen.

„Na toll, kommt das Corona etwa auch aus der DDR?“, rufe ich in Richtung Küche.

„Sagtest du eben nicht ‚Mundtot‘?“

„Nein, ich sagte: Mundschutz! Sag du mir lieber, ob das Essen Fortschritte macht. Ich habe Mordshunger!“

„Ich weiß, das ist Frau Merkels Lieblingsspruch: Politik der kleinen Schritte. Mit ’nem schicken, engen Rock kann man halt keine großen Schritte machen. Was meinst du, warum ich immer drei Schritte hinter dir herlatsche? Aber ich finde, sie sollte trotzdem nicht kündigen.“

„Das tut sie auch nicht, verdammt! Vergiss Frau Merkel und ihre Ankündigungen! Sag mir lieber, wann hörst du in der Küche mit diesem Lärm auf?“, brülle ich so laut ich kann.

„Sag du mir erst mal, wer gekündigt worden ist?“, brüllt sie zurück.

„Das blöde Corona ist gekündigt worden! Zusammen mit seinem Kumpel Covid-19!“

„Wie bitte? Dein Kumpel Cavid ist gekündigt worden?“

Kein Wunder, dass die Fallzahlen ständig steigen, so wie das Volk der Kanzlerin zuhört!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen