Osman Engin Die Corona-Chroniken: Der Wellness-Urlaub
Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).
Dieses Jahr bleiben wir coronabedingt in Deutschland und fahren nach Oberbayern, um uns zu erholen. In einem richtigen Fünf-Sterne-Hotel zu residieren ist einfach himmlisch. Das Mittag- und Abendessen ist in diesen teuren Luxus-Hotels einsame Spitze und man darf reinhauen – bis man platzt!
Das Frühstück ist natürlich genauso toll! Es werden meterlange Tische mit unzähligen, leckeren Sachen vollgepackt. Viele verschiedene köstliche Käsesorten, frisch gepresste Obstsäfte. Tee, Kaffee in sehr schicken Porzellankannen und Eier in allen möglichen Variationen.
Diese tollen Fünf-Sterne-Hotels verlangen aber für eine einzige Übernachtung meinen gesamten Monatslohn. Und weil sie so unverschämt teuer sind, können wir uns so was nicht leisten.
Und die Billighotels, wo wir immer absteigen, haben nicht mal eine Rezeption. An der Eingangstür steht: „Bitte holen Sie Ihren Schlüssel in der Kneipe nebenan ab!“ Der Wirt der Kneipe ist bereits sternhagelvoll und gibt uns aus Versehen den Kellerschlüssel. Was leider kein Versehen ist!
Und wenn ich unsere Kellerzimmer hier mit denen der Fünf-Sterne-Hotels vergleiche, stelle ich fest, dass die einzige Ähnlichkeit darin besteht, dass wir hier auch vier Wände haben. Aber selbst da gibt es Unterschiede. Statt farbenfroher Gemälde haben wir hier große braune Wasserflecken an den Wänden. Und wir können alles sehr deutlich hören, was im Nebenzimmer passiert, ja, sogar sehen.
Nach einer sehr unruhigen Nacht mit reichlich vielen Mücken schleppe ich mich ins Frühstückszimmer.
Dort sehe ich ein offenes Büfett – ein sehr offenes Büfett! Es ist so was von offen, dass einfach nichts da ist! Von dem Tisch blicken mir zwei steinharte Brötchen entgegen. Dazu gibt es ein Stück Butter, dessen Haltbarkeitsdatum vorletztes Jahr abgelaufen ist. Der Käse ist mindestens ein Jahr gereift. Aber nicht in der Schweizer Käsemolkerei, sondern hier im Frühstücksraum.
Kaffee kommt nach einer halben Stunde, die Tasse hat eine knallrote Lippenstiftspur, die nicht von mir stammt. Ich bevorzuge dezentere Töne.
Eminanim sagt verzweifelt: „Osman, lass uns bitte zurückfahren. Ich bin mir sicher, dass wir uns zu Hause viel besser erholen können.“
Ich bin natürlich sofort einverstanden und sage: „Gut, wie du willst. Aber sag bloß nicht, ich hätte dir keinen Wellness-Urlaub in den bayerischen Alpen gegönnt!“
Aber der Wirt hat leider noch eine Überraschung für uns parat: „Ihr könnt nicht weg“, sagt er. „Das ganze Hotel ist unter Quarantäne gestellt worden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen