piwik no script img

Osman Engin Alles getürktBungee auf Türkisch

Mit meinem Ford-Transit fahre ich gemütlich über die längste Hängebrücke Europas, die Europa und Asien verbindet, und genieße die schöne Aussicht auf Istanbul. Es ist unglaublich, wie rasend schnell die Türkei sich verändert. Früher durfte man auf dieser Bosporus-Brücke nicht mal anhalten, aber jetzt blockieren gleich reihenweise Autos die rechte Fahrbahn. Picknicken die Leute hier etwa in dieser luftigen Höhe mit der tollen Aussicht?

Ich halte meinen Ford-Transit an und steige aus. Eine große Menschenmenge schaut sich einen jungen Mann an, der dort Bungeejumping machen will. Dieser neue Sporttrend hat auch die Türkei erreicht. Mehrere Fernsehkameras verfolgen die Aktivitäten, es findet wohl mitten auf der Bosporusbrücke eine offizielle Sportveranstaltung statt. Der junge Mann trifft die letzten Vorbereitungen, um loszuspringen. Alle Augen und Kameras richten sich auf ihn. Aber mir fällt in dem Moment was sehr Gewagtes auf: Der junge Mann hat kein Gummiseil!

„Hallo, Bruder, sag mal, macht man in der Türkei Bungeejumping ohne Gummiseil, ist das nicht ein bisschen gefährlich?“, frage ich meinen Nebenmann.

„Wir haben hier andere Regeln als in Europa“, sagt er.

„Aber der könnte doch ohne Seil ganz hart auf das Wasser knallen und sich weh tun.“

Türken kennen keinen Schmerz

„Hast du Recht, Bruder, ein wenig riskant ist es schon. Na ja, wie halt das ganze Leben hier in der Türkei. Aber Indianer und Türken kennen keinen Schmerz“, sagt er und lacht.

„Hey, junger Mann, diese Brücke ist fast 100 Meter über dem Meeresspiegel. Sie könnten sich böse verletzen“, rufe ich dem jungen Sportler zu, der in diesem Moment springen will.

„Mensch, du Idiot, geh sofort aus dem Bild! Du versaust mir die ganzen Aufnahmen“, brüllt mich ein Kameramann vom Fernsehen an.

„Aber das ist doch kein richtiger Bungeesprung“, belehre ich ihn, „bei uns in Deutschland macht man das mit einem richtig dicken, soliden Gummiseil. Das verhindert, dass man unten hart aufschlägt.“

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Paaaatsch!!!“, werde ich von dem kräftigen Aufprallgeräusch des Törichten unterbrochen.Die Kameramänner laufen aufgeregt hin und her, und das Publikum schaut fasziniert zu.

Ich will ja nicht arrogant, besserwisserisch, miesepetrig und superdeutsch klingen, aber trotzdem rufe ich laut: „Leute, ich fand das nicht richtig. Glaubt mir, er wird sehr lange brauchen, bis die Wehwehchen abgeklungen sind. Damit sollte man nicht spaßen!“

Ich muss natürlich zugeben, dass es so viel besser aussieht, anstatt mit einem hässlichen, dicken Gummiseil um den Bauch, wie ein lächerlicher, schäbiger Wurm am Angelhaken, hin und her zu zappeln, so wie es die feigen Europäer tun. Ohne die Wertung der Punktrichter abzuwarten, steige ich wieder in meinen Ford-Transit ein. Ich bin schwer ergriffen davon, was die Türken heutzutage alles auf die Beine stellen, um die Welt und insbesondere die EU richtig zu beeindrucken.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen