piwik no script img

Osman Engin Alles getürktBrügge, Venedig für Arme

Brügge ist eine hübsche kleine Stadt in Belgien und wird auch das „Venedig des Nordens“ genannt. Wir haben gedacht, wenn wir uns schon das Original in Italien nicht leisten können, dann besuchen wir die Fälschung im Nachbarland. Aber leider ist das Essen im All-inklusiv-Hotel auch eine Fälschung. Völlig ungenießbar! Meine Frau haut sich den Magen seit Tagen auswärts voll. Und ich bin total abgemagert, um nicht unnötig Geld auszugeben.

„Eminanim, ich kann nicht mehr! Zeig mir bitte ein Restaurant, das ganz in der Nähe ist“, flehe ich sie an. –„Osman, ich hab genau das richtige für dich. Ein kleiner, tunesischer Familienbetrieb mit sehr leckerer Hausmannskost! Wenn du hier aus dem Hotel rauskommst, musst du nur über drei Brücken gehen.“

Mit klapprigen Knien mache ich mich sofort auf den Weg. Ich überquere einen Kanal nach dem anderen und schon bin ich da. Sofort gebe ich meine Bestellung ab: „Bohnensuppe, Köfte und Reis bitte“, rufe ich völlig entkräftet.

Die orientalische Kellnerin schaut mich ziemlich verständnislos an. „Essen, essen, yemek, manjarde“, schicke ich hinterher. Diesmal kapiert sie.

Zu meiner Überraschung bekomme ich aber Lamm mit Kuskus. Wer zu spät kommt, den bestraft der Koch! Aber es schmeckt trotzdem herrlich und ich fange wieder an zu leben! Der Gast, der nach mir kommt, bekommt gar nichts zu essen und haut verärgert ab.

Ich gehe jeden Tag dahin und schwärme meiner Frau vor, wie lecker dort alles schmeckt. Sie will heute Abend unbedingt mitkommen! Um kein Risiko einzugehen, trudeln wir ziemlich früh dort ein und ich gebe sofort meine Bestellung auf: „Zwei Mal Bohnensuppe, Köfte und Reis bitte! Essen, essen, yemek, manjarde.“

„Eminanim, was man bestellt, interessiert die hier herzlich wenig. Die haben Einheitsessen. Aber es schmeckt alles wunderbar!“

Das heutige Menü besteht aus Huhn mit Reis und einem Gemüseauflauf. Gut, dass wir rechtzeitig gekommen sind. Meine Frau bekommt genau so viel zu essen wie ich.

„Eminanim, weil sie ja nie das servieren können, was ich mir wünsche, weigert sich die Kellnerin, jedes Mal Geld anzunehmen! Ist das nicht prima? Los, hau rein, das ist alles umsonst!“

In dem Moment kommt schon wieder der Mann rein, der seit Tagen zu spät kommt und nicht kapiert, dass er um die Uhrzeit nichts mehr zu essen kriegt. Diesmal ist er richtig sauer und brüllt wie ein Irrer rum.

„Osman, interessiert es dich, warum die beiden sich streiten?“, sagt Eminanin und will mit ihren bisschen Arabisch-Kenntnissen bei mir angeben. –„Ich weiß, der Kollege kommt ständig zu spät, kriegt nichts zu essen, also ist er sauer und brüllt rum – so einfach ist das!

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Nein, so ist es nicht! Du isst diesem Familienvater seit Tagen sein Essen weg. Der gute Mann arbeitet den ganzen Tag auf dem Bau, und wenn er abends nach Hause kommt, dann hast du ihm bereits sein Abendessen weggeputzt. Seine arme Frau sagt, sie kann doch nicht einen Gast Gottes, womit sie dich meint, hungrig wieder wegschicken. Heute hat sie eine Portion mehr gekocht, aber da hast du mich mitgebracht!“

„Bei Allah, das kann doch nicht wahr sein! Aber du hast mir doch selbst dieses Restaurant hier empfohlen!“

„Nein, diese arme Familie habe ich dir bestimmt nicht empfohlen! Du bist eine Brücke zu früh abgebogen!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen