Osman Engin Alles getürkt: Osman, der Leuchtturm
Es ist nun mal so, dass man in der Ehe von der Ehefrau selten gelobt wird. Deshalb muss man ab und zu selber dafür sorgen, damit die Heldentaten, die ein Familienvater tagtäglich leisten muss, nicht völlig unter den Teppich gekehrt werden.
„Eminanim, nur weil ich zwölf Stunden am Tag in Halle 4 arbeite, heißt das noch lange nicht, dass ich meiner großen Lebensaufgabe, ein leuchtendes Beispiel, sozusagen ein großer Leuchtturm für die Kinder zu sein, nicht nachgehen kann“, sage ich zu meiner Frau, damit sie endlich einsieht, was für einen selbstlosen Vater und unermüdlichen Ehemann und was für eine intellektuelle Geistesgröße sie doch zu Hause hat. „So einen Ehemann wie mich, wirst du mit Kerzenlicht suchen müssen“, füge ich hinzu.
„Warum sollte ich denn überhaupt nach dir suchen? Du sitzt hier die ganze Zeit auf dem Sofa und trinkst literweise Tee, als wärst du ein Gast“, antwortet sie gleichgültig.
„Vater, was denkst du denn eigentlich über die syrischen Flüchtlinge?“, fragt in dem Moment mein kommunistischer Sohn, der ewige Student Mehmet.
Super! Das ist die Gelegenheit, meiner Frau auch im praktischen Leben vorzuführen, dass sie den Wert eines großartigen, humanistischen Intellektuellen nie zu schätzen wusste.
„Mehmet, ich habe mich immer dafür stark gemacht, diese armen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, mit offenen Armen zu empfangen.“
„Mehmet, heute spuckt dein Vater plötzlich ganz neue Töne“, mischt sich meine Frau ein.
„Das stimmt doch nicht. Ich war schon immer tolerant, weltoffen, demokratisch, lieb und gutaussehend. Am liebsten würde ich die Flüchtlinge persönlich aus Syrien abholen.“
„Vater, das brauchst du nicht. Die Flüchtlinge sind bereits hier“, sagt Mehmet und brüllt in Richtung Kinderzimmer: „Mohammed, du kannst reinkommen. Vater hat nichts dagegen, dass du bei uns wohnst.“
Die Tür geht auf und ein junger Mann mit pechschwarzen Haaren stürmt ins Wohnzimmer.
„Vielen Dank, Engin Effendi. Sehr großzügig von Ihnen“, strahlt er über das ganze Gesicht.
„Öhm… wer bist du denn?“
„Ich bin Mohammed. Ich wohne jetzt hier.“
„So war das aber gar nicht gemeint! Ich meine, das geht nicht“, stottere ich schockiert.
„Warum geht das denn nicht, du humanistischer, weltoffener Möchtegern-Leuchtturm?“, fragt Mehmet spöttisch.
„Weil … weil … ich darf das doch gar nicht entscheiden. Deine Mutter meint, ich wäre doch nur Gast hier.“
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