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Osman Engin Alles getürktOsman, der Lügenbaron

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Endlich erlaubt mir Corona wieder Lesungen zu machen. Mein größter Wunsch war schon immer, passend zum Münchener Oktoberfest eine Einladung für eine Lesung nach Bayern zu bekommen. Jetzt lese ich dort zwar nicht im Oktober, sondern im Juni – aber immerhin. Und auch nicht in München, sondern in einem ganz kleinen Kaff in der Nähe von Füssen.

Zum Übernachten bekomme ich dort den Dachboden über der Scheune des Veranstalters. Am nächsten Morgen wache ich – wie früher in der Türkei – mit Hahn- und Kuhgeräuschen auf. Ich klettere die Leiter runter in die Scheune und gehe zum Gasthaus, um zu frühstücken. Nach dem leckeren Bauernfrühstück mit viel angebranntem Speck und einem Dutzend hartgekochten Eiern, will ich das Dorf erkunden. Ich bin mir nicht sicher, ob es in diesem gottverlassenen Ort überhaupt Menschen gibt! Es sieht sehr düster aus. Ich wäre froh, wenn ich mangels Publikums nicht vor Kühen und Hühnern lesen müsste. Aber was soll’s, Lesung ist Lesung.

Mitten auf dem Dorfplatz steht eine große Tafel, hier sehe ich ein einziges, von Hand gezeichnetes Plakat zu meiner Lesung. Überrascht stelle ich fest, dass jemand aus meinem Namen Osman „Osmanen“ gemacht hat. Dahinter hat er in großen Buchstaben „RAUS!“ gekritzelt: „Osmanen RAUS!“ also. Was ich einem Gast gegenüber nicht sehr nett finde. Ich fummele auch ein bisschen auf dem Plakat herum und zaubere aus dem blöden „Osmanen RAUS“, ein geniales „Nazis RAUS!“

Eine Stunde später ist der unsichtbare Botschafter wieder am Werk. Er hat aus Nazis Türken gemacht. „Türken RAUS!“, ist diesmal auf dem Plakat deutlich zu lesen. Kreativ wie ich bin, ersetze ich das Wort „RAUS“ mit „REIN“.

Obwohl kein Mensch zu sehen ist, bekommt das Dorf über mein Plakat ständig neue Botschaften. Gegen Mittag laufe ich wieder zum Dorfplatz, um zu gucken, ob ich eine neue Mitteilung bekommen habe. In der Tat, der unhöfliche Mensch war wieder am Werk! Meinen kurzen Satz „Türken REIN!“ hat er nun etwas erweitert: „Türken REIN in die Abschiebehaft!“ Ich mache daraus „Nazis in die Abschiebehaft!“ Zugegeben nicht ganz originell. Aber das war das Beste, was ich auf die Schnelle machen konnte.

Kurz vor der Lesung stehe ich noch einmal auf dem Dorfplatz, um die aktuelle Auflage des Plakates zu betrachten. „Osman Engin ist türkischer Münchhausen. Der Lügenbaron“, lautet die neueste Version. Oh, das finde ich gar nicht mal so schlecht. Leider habe ich keine Zeit mehr, darauf genauso geistreich zu antworten. Ich muss ins Gasthaus. Und siehe da, welch eine Freude, außer dem Gastwirt interessiert sich noch eine zweite Person für meine Lesung.

„Guten Abend, meine Herren, ich bin der türkische Münchhausen“, begrüße ich das Publikum freundlich mit einem Grinsen im Gesicht. Mein Gastgeber schaut mich völlig verwirrt an. Aber der einzige Besucher schaut mich so vertraut an, als hätte er mich damals bei meiner Geburt selbst auf den Namen „türkischer Münchhausen“ getauft! Und ich bin froh, dass er immer noch den dicken schwarzen Stift in der Hand hält und keinen Baseballschläger.

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