■ Oskar Lafontaines Steuerversprechen an den kleinen Mann: Nach den Wahlen wird man sehen
Die Sozialdemokraten wollen nach einem Wahlsieg Normalverdiener und Familien mit einem groß angelegten Steuersenkungsprogramm entlasten – dieses Versprechen hat gestern der SPD-Vize Oskar Lafontaine gegeben. Mit der Abschaffung des Solidarzuschlags, einer Erhöhung des Kindergeldes, der Freistellung des Existenzminimums und einer ökologische Steuerreform, in die man weitere Steuererleichterungen einbauen will, soll die durch die drastische Steuer- und Abgabenpolitik der Regierung Kohl entstandene Gerechtigkeitslücke wieder geschlossen werden.
In der Tat, eine Reform des Steuersystems, dessen finanzielle Belastungen für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung die Schmerzgrenze schon lange überschritten hat, ist überfällig. Daß die SPD, anders als Finanzminister Theo Waigel, sich nun der Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit annehmen will, ist da nur konsequent – nicht zuletzt aufgrund des immer schärfer werdenden Kontrasts der Zweidrittelgesellschaft. Dennoch drängt sich nach den Ankündigungen Lafontaines der Verdacht auf, den Sozialdemokraten gehe es um etwas ganz anderes: nämlich die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen zur Stimmabgabe für die SPD zu bewegen. Schließlich zählen Steuergerechtigkeit und sozialer Ausgleich zu den unangefochtenen Kompetenzfeldern der SPD.
Wenn es nur um die Kunst der Semantik ginge, Oskar Lafontaine könnte glatt Theo Waigels Nachfolger werden. Da wird der Verzicht auf neue Steuererhöhungen – schließlich soll die von der SPD geplante Ergänzungsabgabe für Besserverdienende über drei Viertel der Bevölkerung von dem ab 1995 vorgesehenen Solidarzuschlag wieder freistellen – schon vorab als Steuererleichterung verkauft. Auch Lafontaine müßte wissen, daß Steuergeschenke bei der angespannten Haushaltslage ohne höhere Neuverschuldung kaum zu realisieren sind. Doch die Refinanzierung der verfassungsrechtlich notwendigen Steuerfreistellung etwa wird mit einem unkonkreten Hinweis auf die beabsichtigte ökologische Steuerreform abgetan – das muß geradezu Mißtrauen erwecken und zu Spekulationen einladen. Vielleicht bringt Lafontaine aber ja das Kunststück fertig, die sozialdemokratischen Widersprüche zu klären: einerseits steuerliche Belastungen der kleinen und mittleren Einkommen abzubauen, ihnen andererseits keine neuen Belastungen aufzubürden. Steuern erhöhen? Nein. Ökologische Steuerreform? Ja. Benzinpreiserhöhungen? Nein, vorerst nicht, oder vielleicht doch? Steuervergünstigungen streichen? Ja.
Was die Vorschläge so fragwürdig macht, sind deren fehlende Preisschilder. Das wiederum kann, wie die Hinhaltetaktik Waigels, nur einem Zweck dienen: den Leuten die unangenehmen Wahrheiten über das ganze Ausmaß der Belastungen zu ersparen. Eines eint sie alle: Nur ja keinen Fehler machen, nach der Wahl, da sehen wir weiter. Erwin Single
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen