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Oscar-nominierte Regisseurin über ihre Arbeit„Ich tendiere dazu, zu versinken“

Katja Benraths Abschlussfilm an der Hamburg Media School war für den Kurzfilm-Oscar nominiert. Das hat ihr Leben auf den Kopf gestellt.

Einst Oscar-Hoffnung, jetzt Spielfim-Regisseurin: Katja Benrath Foto: dpa/C.Gateau
Marco Carini
Interview von Marco Carini

taz: Frau Benrath, seit der Nominierung ihres Abschlussfilms „Watu Wote – All of us“ für den Kurzfilm-Oscar stürmt viel auf Sie ein. Kommt da die Seele hinterher?

Katja Benrath: Ich befürchte, dass sie nicht so gut hinterherkommt. Ich glaube, dass ich sie wieder etwas mehr ins Boot holen darf.

Sie wurden in Unterfranken geboren und sind in Lübeck aufgewachsen – in einer großen Familie.

Meine Eltern haben zusammen vier Kinder. Nach dem Fortzug nach Lübeck – ich war damals neun – hat meine Mutter mit ihrem neuen Partner noch zwei Kinder bekommen. Wir waren also zu Hause sechs Geschwister, da lernt man Teamplaying. Ich bin superfroh, dass wir nach Lübeck gekommen sind. Im Vergleich zum kleinen Stockstadt war das für mich die perfekte Stadt, um kulturell zu wachsen.

Kultur hieß für sie als Kind und Jugendliche: Theater!

Sobald ich lesen konnte, habe ich jede Geschichte mit meinen Freundinnen oder meinen Schwestern nachgespielt. Im Theaterkurs des Katharineums, meiner Schule, habe ich in der sechsten Klasse angefangen zu spielen, zu singen, aber auch Kostüme zu nähen und Bühnenbilder zu bauen. Mich hat immer auch diese handwerkliche Seite interessiert und ein ganzheitlicher Zugang zum Theater. Ich habe schnell festgestellt, dass das deutlich wichtiger ist als jede Form von Schule. Das war mein Leben.

Nach der Schule sind Sie ans Theater gegangen, doch nicht als Schauspielerin.

Watu Wote - All of us

.. ist ein deutsch-kenianischer Kurzfilm aus dem Jahr 2017, die Abschlussarbeit der Filmregie-Studentin Katja Benrath und ihres Teams an der Hamburg Media-School.

Verfilmt wurde ein Überfall islamistischer Al-Shabaab-Terroristen auf einen Reisebus im Norden Kenias am 21. Dezember 2015.

Als die Islamisten die Businsassen auffordern, sich in Muslime und Christen aufzuteilen, um letztere zu erschießen, weigern sich die überwiegend muslimischen Fahrgäste – auch als ihnen ihre eigene Ermordung angedroht wird.

Der 21-minütige Film gewann in Europa, Afrika und den USA zahlreiche Filmpreise, so unter anderem 2017 den Studenten-Oscar. 2018 wurde er für den Kurzfilm-Oscar nominiert, ging am Ende allerdings leer aus.

Ich wusste, ich muss ans Theater, sonst drehe ich durch. Aber ich hatte nicht das Selbstvertrauen, Schauspielerin zu werden. Da Nähen eine große Leidenschaft von mir war, habe ich dann zweieinhalb Jahre an den Wuppertaler Bühnen Schneiderin gelernt und unter anderem für Tina Bausch genäht.

Theater war wichtig, Film noch nicht?

Überhaupt nicht. Im Theater steckte für mich auch alles drin. Diese gemeinsame Aufregung vor der Vorstellung, das Hinfiebern, die Freude, das Schönste, Beste, Tollste dem Publikum zu schenken. Dieser Zusammenhalt war mein Zauber. Ich wollte nicht zum Film. Meine Mutter hat uns Kinder vom Fernsehen ferngehalten. Ich hatte so zunächst wenig Möglichkeiten, mich mit dieser Kunstform anzufreunden.

Ihre nächste Station war das Schauspielstudium in Wien. Da war das Selbstvertrauen da, diesen Weg einzuschlagen?!

Ich habe diesen Gedanken in der Schneiderlehre immer weiter bewegt und dann habe ich eine Wette verloren. Mein Einsatz war: Wenn ich verliere, muss ich am Max Reinhardt-Seminar in Wien vorsprechen. Ich bin da auch weitergekommen, selbst wenn es am Ende nicht ganz geklappt hat. Das hat mit aber den Mut gegeben, es weiter zu versuchen. Wenn schon Schauspiel studieren, dann in Wien, das fand ich cool. Am Vienna-Konservatorium hat es dann geklappt. Ich habe mich in Wien verliebt und bin da zwölf Jahre lang geblieben.

Haben Sie während der Ausbildung gemerkt, dass es Ihnen noch wichtiger ist, eine Geschichte zu erzählen, als in eine Rolle reinzugehen?

Dass wusste ich schon immer. Auch in der Schule war ich ja in allen Departements zu finden, um dazu beizutragen, dass die Geschichte gut erzählt wird. Mit dreizehn wollte ich mein eigenes Theater, wo ich alles machen kann.

Ihr Studium endete 2006, doch Sie blieben in Wien.

Nach dem Studium fand ich mich nicht zurecht. Ich mag diesen ganzen Smalltalk nicht, ich mag nicht auf Premierenfeiern gehen, um „wichtige“ Leute zu treffen. Und das schien plötzlich dazuzugehören, um irgendwo hinzukommen.

Dann kam der Kurzfilm.

Im Interview: 

Katja Benrath, 39, hat deutsch-chilenische Wurzeln und kam mit neun Jahren aus ihrer 8.000-Einwohner-Heimatstadt Stockstadt nach Lübeck, wo sich ihr Leben ums Theater und erst später ums Kino drehte. Zurzeit führt sie Regie bei ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm.

Ein guter Freund, Florian Hirschmann, der sich gefühlt seit seiner Geburt für Film interessiert und alles darüber weiß, fragte mich: Warum machen wir nicht mal einen Kurzfilm zusammen? Nach dem ersten Kurzfilm „Puppenspiel“ habe ich gemerkt: Das will ich weitermachen. Plötzlich hatte ich wieder das Gefühl, dass ich an allem beteiligt bin und von mehreren Seiten eine Geschichte unterstützen kann. Das hat mich fasziniert und so haben wir das nächste Projekt gestartet.

2014 endete Ihre Zeit in Wien

Beruflich stagnierte es. Ich habe mich mit verschiedenen Theaterprojekten, gelegentlichen Fernsehauftritten und Werbeengagements über Wasser gehalten. Die Devise war, dass man sich irgendwie mit Kommerz das Geld verdient, um Kunst machen zu können. Ich hatte mich schon länger mit dem Gedanken getragen, nach Deutschland zurückzugehen, auch um näher an meiner Familie zu sein. Ich wollte in den Norden, mit Mitte dreißig noch mal studieren, aber nicht so lange. So habe ich mich nur bei der Hamburg Media School beworben. Ich wollte irgendwann in einem Leben ankommen, wo ich einen Beruf ausübe.

Wie kommt man dazu, so ein ambitioniertes Abschlussprojekt wie den Film Watu Wote zu machen, der in Kenia spielt?

Der Schulleiter hat unserem Team einen Zeitungsartikel geschickt, über die Begebenheit, die Watu Wote zugrunde liegt. Ich bekam eine Ganzkörpergänsehaut, denn dieses Thema hat so viel mit meinem Wunsch zu tun, dass Menschen solidarisch sind und sich gegenseitig unterstützen.

In dem Film, der auf einer wahren Begebenheit beruht, stellten sich bei einem Überall islamistischer Milizen auf einen Bus die muslimischen Passagiere schützend vor die Christen.

Dass sie das in so einer Extremsituation konnten, hat mich tief beeindruckt. Ich fand das Thema universell und superwichtig. Es gibt solche Geschichten, die unbedingt erzählt werden wollen.

Sie haben davor gewarnt, eine solche Geschichte zu kolonialisieren. Was heißt das und wie bannt man so eine Gefahr?

Ich habe mich gefragt: Wie erzähle ich als Deutsche, mit einem entsprechend geprägten kulturellen Hintergrund, eine Geschichte authentisch, die sehr weit weg von meiner eigenen Kultur ist. Wir sind als Team sechs Wochen nach Kenia gefahren, um dort zu recherchieren und herauszubekommen: Findet es die kenianische Filmbranche eigentlich toll, dass da deutsche Studenten kommen und diesen Film drehen? Wir haben eine unglaublich lebendige, pulsierende Filmbranche vorgefunden, der es auch darum geht, sich mit Kunst gesellschaftlich einzubringen und etwas zu verändern. Die Zusammenarbeit war sehr intensiv, wir wollten gemeinsam die Frage beantworten: Wie lässt sich das erzählen?

Haben Sie geahnt, welchen Zuspruch dieser Film erhält?

Darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Was ich allerdings beim Drehen gespürt habe, ist die unglaubliche Kraft, die bestimmte Momente hatten. Momente, die mir am Set Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt haben. Das Team hat in Zelten geschlafen und wir haben nächtelang beim Feuer geredet, Deutsche und Kenianer, Christen und Muslime. Dadurch ist ein Zusammenhalt und eine Kraft entstanden, die für mich im Film spürbar ist.

Die Resonanz kann Sie nicht kalt gelassen haben!

Ich will Preise nicht kleinreden. Ich drehe nicht deswegen, aber ich nehme es als Wertschätzung an. Ich mache Filme für ein Publikum. Deshalb sind Publikumspreise meine Lieblingspreise. Wenn der Film anrührt oder Mut macht, Zivilcourage zu zeigen, dann verschafft mir das die tiefste Freude.

Den Studenten-Oscar haben sie Open-Air gefeiert.

Es war ein Zuhause-Tag, in Barmbek-Süd, und ich hatte meine Pyjama-Gemütlichkeitshose an. Dann kam ein Anruf aus den USA und ich verstand kaum etwas in der Wohnung. Dann stand ich mitten auf der Straße, weil da der Empfang am besten war. Ich wurde sogar angehupt. Als ich begriff, dass wir einen der drei Studenten-Oscars gewinnen, war ich so aufgeregt, dass ich nicht begriffen habe, dass ich noch meinen Schlafanzug trage und die ganze Zeit rumhüpfe.

Wie passt Ihr Bedürfnis nach Authentizität und Loyalität in ein Business, dem man zuschreibt, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten zu sein?

Es ist ein Ankommen in einer Branche, die ich noch gar nicht so gut kenne. Ich wünschte, es gäbe eine Gebrauchsanleitung. Ich möchte meinen Glauben daran, dass das Miteinander funktioniert, niemals aufgeben. Ich hoffe und glaube fest daran – denn anders gehe ich vor die Hunde – dass es Konstellationen gibt, in denen die Menschen auch in dieser Branche, loyal, authentisch und solidarisch miteinander arbeiten.

Haben Sie Angst, von diesem Business verschluckt zu werden?

Ich tendiere dazu, mich verschlucken zu lassen und komplett zu versinken. Abgrenzung ist das Allerwichtigste, was ich gerade zu lernen habe.

Erzählen Sie über Rocca, Ihren ersten Spielfilm, der im Frühjahr herauskommt.

Rocca ist elf Jahre alt und ein Mädchen, das komplett von woanders kommt, mit anderen Werten aufgewachsen ist. Sie kommt nach Hamburg und trifft auf ganz viele Dinge, die für uns normal sind, die sie aber nicht versteht. Sie hinterfragt alles mit diesem unschuldigen, frischen Blick. Sie sieht etwa Obdachlose und fragt sich, warum ihnen niemand hilft, oder sie erlebt in ihrer Schule gegenseitiges Mobbing. Rocca entscheidet sich, dass zu verändern, weil sie es so nicht stehen lassen kann.

Sie haben bislang Geschichten mit großer Schwere erzählt. Probieren Sie mit Rocca eine neue, leichtere Handschrift?

Rocca hat sehr tiefgründige Momente, aber die leichten Momente überwiegen. Es ist das erste Mal, dass ich einen Film mit lustigen Elementen erzähle – und bisher glaube ich, dass das gelingt.

Reizt Hollywood, wenn der richtige Stoff kommt?

Das wichtigste ist in der Frage schon drin. Wenn der richtige Stoff aus Timbuktu oder Wanne-Eickel kommt, dann werde ich da sein. Und so ist es auch mit Hollywood. Ich mag das Gefühl, eine Geschichte möchte, dass ich beitrage, sie zu erzählen.

Was ist Ihnen für die nahe Zukunft am wichtigsten?

Ich möchte unbedingt mit jeder Faser meines Daseins leben und diese Kraft in Projekte stecken, die mich bewegen. Mit voller Seele zu arbeiten und begeistert sein dürfen, und das in einer wertschätzenden Umgebung, denn dann bin ich am besten. Und ich möchte es schaffen, liebevoll für mich zu sorgen, denn ich nütze niemandem etwas, wenn ich mich zermahlen lassen.

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