Oranienplatz: „Es war absehbar“
Georg Classen vom Flüchtlingsrat kritisiert die drohende Räumung des Flüchtlingscamps und betont das Recht auf freie Meinungsäußerung.
taz: Herr Classen, wie beurteilen Sie die Situation am Oranienplatz?
Georg Classen: Es war absehbar, dass die Gruppe dort heterogen zusammengesetzt und deutlich größer ist als 80 Personen ist, und dass die vom Bezirk angebotenen Unterkünfte zahlenmäßig nicht reichen. Als ich von dem Ersatzangebot hörte, dachte ich: Wird das jetzt der Vorwand für den Versuch einer polizeilichen Räumung? Und genau so scheint es jetzt zu kommen. Obdachlosigkeit kann man aber nicht mit Polizeieinsätzen beseitigen.
Wie sollte es weitergehen mit den Menschen, die jetzt weiter in den Zelten leben?
Sie müssen akzeptable Unterkünfte angeboten bekommen. Ein Zeltlager ist nicht geeignet, um dort im Winter zu wohnen. Aber die, die weiter dort demonstrieren wollen, müssen das auch dürfen. Es gibt ein Recht, seine Meinung zu äußern, und zwar nicht nur tagsüber. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Berliner Senat müssen das respektieren.
Wie ist eigentlich die langfristige Perspektive?
Die Lampedusa-Flüchtlinge sollten ein Bleiberecht in Deutschland bekommen. Das geht nach dem Ausländerrecht aus humanitären Gründen für eine ganze Gruppe, dafür wäre der Innensenator zuständig und der Bundesinnenminister müsste zustimmen. Oder man macht es als Einzelfalllösung etwa über die Berliner Härtefallkommission. Und natürlich muss man das Grundproblem auf europäischer Ebene angehen: Staaten wie Italien müssen Flüchtlinge angemessen versorgen und und ein faires Asylverfahren sicherstellen. Und die EU muss den Flüchtlingen gestatten, ihren Wohnort frei zu wählen, statt allein die Staaten an den Außengrenzen verantwortlich zu machen.
Georg Classen ist Sprecher des Berliner Flüchtlingsrates
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