: Opferfest in der Diaspora
■ Etwa 200.000 Berliner Muslime feiern das zweitwichtigste religiöse Fest des Islam/ Verkehrsstau in der Nähe der Moschee am Columbiadamm/ Die jüngere Generation feiert zum Teil nur lustlos mit
Berlin. Seit gestern morgen müssen Millionen von Klein- und Großvieh in der islamischen Welt dran glauben. Das Opferfest hat begonnen. Es geht zurück auf die Abraham-/Ibrahimlegende. In dieser sollte der im Islam hochverehrte Prophet nach einem Gelübde seinen Sohn Ismail Gott als Opfer darbringen. Das Fest, das am Ende der Pilgerfahrt nach Mekka, dem Hadj, gefeiert wird, und zu den ersten fünf Geboten des Islam gehört, hat auch viele soziale Aspekte. Die Opfertiere, die nach strengem islamischen Ritual geschlachtet werden, werden zu drei Vierteln an mindestens sieben Arme verteilt; nur das letzte Viertel ist für den eigenen Verzehr bestimmt. Das Fest gilt auch als Gelegenheit für zwischenmenschliche Begegnungen. Da werden Verwandte und Freunde besucht, menschlicher Zwist wird behoben, die Älteren werden durch den devoten Händekuß geehrt und die Jüngeren — besonders die Kleinen — mit Geschenken beglückt. Auch in der Diaspora: hier in Berlin feiern in diesen Tagen etwa 200.000 Muslime das Opferfest. Die ImmigrantInnen weisen besonders darauf hin, daß ihre religiösen Feiertage oft von den Arbeitgebern nicht anerkannt werden. »Ich werde am Morgen in der Gemeindemoschee das Festtagsgebet abhalten und anschließend zur Arbeit fahren. Wie soll man da ein Fest sinngemäß feiern?«, fragt ein älterer Kreuzberger Türke.
Das größte Problem sei, so die streng gläubigen Vertreter einer Kreuzberger islamischen Jugendorganisation, daß sie hier keine Möglichkeit hätten, traditionsgemäß zu opfern. Deswegen entscheiden sich in den letzten Jahren immer mehr Leute dazu, der Verwandtschaft in der Türkei Geld zu schicken, damit stellvertretend für sie geschlachtet wird. Dieses Jahr werden Gelder gesammelt, die dann nach Bosnien oder Aserbaidschan geschickt werden, erzählt Halil Kazancioglu, türkischer Fleischgroßhändler aus Kreuzberg. Als ein besonders großes Problem bezeichnen die Älteren das allgemeine Desinteresse der zweiten und dritten Generation.
Die meisten Kids haben eher ein gespanntes Verhältnis zum Fest. Zwar werden einige, wie die — hier geborenen — Kreuzberger Schüler Bülent, Mesut, Resat und Murat am morgendlichen Festtagsgebet teilnehmen. Andere, wie Burcak, Pinar, Sema, Aynur und Tolga, ziehen es hingegen vor, sich dem Fest möglichst zu entziehen. Sie sehen keinen Sinn darin, an dem Spektakel teilzunehmen, oder aber lassen alles über sich ergehen, weil es einfach Tradition ist, denken aber kaum über die Hintergründe nach. Allerdings berichten alle, daß das Fest in der »Heimat« viel mehr Atmosphäre hat und die Tradition dadurch viel anziehender wirkt. Jeder feiert dort mit, ob er nun glaubt oder nicht.
In Deutschland hingegen sagt Sema, Tochter aus einer binationalen Ehe: »Ich will damit absolut nichts zu tun haben, weil ich Vegetarierin bin. Die sollten eher das Geld, was sie zum Schlachten dieser Tiere benutzen, sammeln, und an die Hungernden dieser Welt schicken.« Tolga, elf Jahre alt, freut sich am meisten auf die Geschenke, besonders auf das Geld, das er sich durch das Händeküssen verdienen wird. »Ich habe im letzten Fest 120 Mark gesammelt. Dieses Jahr wird es bestimmt mehr.«
Nach der Meinung von Ertekin Özcan, vom türkischen Elternverein, ist der ambivalente Umgang mit den religiösen Festen ein Beweis für den Generationskonflikt unter den Immigranten. »Natürlich geht die erste Generation, die ihre Sozialisation in der Heimat erlebt hat, anders mit solchen Anlässen um, als die zweite oder dritte. Es gibt aber auch Unterschiede zwischen Kindern von konservativ-fundamentalistischen Familien und solchen, die sich mehr in die hiesige Gesellschaft integriert haben.« Das Auseinanderdriften der Generationen geht jedoch weiter. Auch während eines Festes, das eigentlich dazu dienen soll, die Menschen zusammenzubringen. musti
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